Wie Stanislava Liasota die erste Musical-Gruppe der Ukraine gründete

Wie Stanislava Liasota die erste Musical-Gruppe der Ukraine gründete

Stanislava Liasota ist die Gründerin der ersten professionellen Musicaltheatergruppe der Ukraine. Russlands Großoffensive in ihrem Land wird Kunst und Kultur verändern, sagt sie.

Die Erfolgsgeschichte begann damit, dass sie „ein 19-jähriges verrücktes Mädchen war, das nicht wusste, dass das nicht funktioniert“, sagt Stanislava Liasota. Als sie die erste professionelle Musicaltheatergruppe der Ukraine gründete, sei daher nicht absehbar gewesen, dass sie mehr als 13 Jahre bestehen würde. „Wir haben als Traum angefangen“, erinnert sie sich. Als Fan von Victor Hugos „Notre-Dame de Paris“ scharte die Berufsmusikerin aus Kyjiw Sänger:innen um sich, um die Gruppe „Comme il faut“ (wie es sein soll) als Theater der Musicals zu gründen und das französische Musical aufzuführen.

Unterschiedliche Traditionen

Bereits 2008 waren Musicals auf den großen Bühnen der ukrainischen Theater bekannt, stellt Liasota klar. Aber bis dahin habe es eben keine professionelle Gruppe gegeben, die nur diese Art von Stücken aufführte. „Ich denke, das liegt an unseren unterschiedlichen Traditionen“, sieht sie andere Gewohnheiten in der Ukraine im Vergleich zu anderen europäischen Ländern oder den USA: „Wir haben keine Theater, in denen es nur ein Musical für drei Monate oder ein halbes Jahr gibt.“ Also wählten Liasota und ihr Team einen anderen Ansatz: Sie spielten auf wechselnden Bühnen.

Eine Gruppe von “Comme il faut”. Foto: Stanislava Liasota

Nachdem ihr erster Auftritt gut angekommen sei, sei es eine Art „natürlicher Prozess“ gewesen, wie die 33-Jährige beschreibt. Die Leute mochten es, wollten mehr – also machte die Gruppe weiter. „Und jetzt sind es 13 Jahre“, bilanziert Liasota. Angefangen auf kleinen Bühnen in Konzertsälen für 300 Personen, kennt die Gruppe heute einige der wichtigsten Bühnen des Landes: den Oktoberpalast in Kyjiw, das Staatliche Akademische Opern- und Balletttheater in Charkiv (das im März 2022 während russischen Invasion zerstört wurde) oder das Opernhaus Odesa; mit dem Musical Marilyn Monroe bespielte “Comme il faut” erstmals eine dieser großen Bühnen. Liassota sagt:

„Ich denke, was man in einem Konzertsaal für ein paar Hundert Menschen machen kann, kann man in jedem großen Saal machen.“

Mit dieser anderen Art der Auftritte, kombiniert mit einem angepassten Marketing, gelang es Comme il faut, jedes Mal, wenn die Gruppe spielte, sein Publikum zu gewinnen. Liasota möchte jedoch nicht, dass dies allein als ihr Erfolg gewertet wird. „Es gab so viele Menschen, die geholfen haben, einfach weil wir cool sind und in der Ukraine etwas Großartiges geschafft haben“, sagt sie. Ob Fotoshootings, Website, PR oder Management: „Es hat wirklich sehr geholfen.“

Ein außergewöhnlicher Moment für Liasota ereignete sich 2018, als sie als erste Theaterregisseurin eine Bühnenadaption des Musicalfilms The Greatest Showman präsentierte und Hugh Jackman selbst den Trailer auf seiner Facebook-Seite teilte und kommentierte: „Das ist großartig!!!” Liasota erinnert sich, wie der Trailer immer mehr Likes bekam – „Ich dachte, es ist abnormal“ – bis sie merkte, wieso er viral ging. Während Fans in die Ukraine kommen wollten, um das Musical zu besuchen, hatte sie nun das Problem, dass Comme il faut eben keine feste Bühne hatte und oft nicht wusste, wann oder wo das nächste Stück stattfinden würde. „In der Ukraine ist es schwierig, eine Show zu machen, weil es viel kostet“, sagt sie. Sie müssten die Bühne und das Equipment bezahlen, ohne zu wissen, ob sich der Ticketverkauf auszahlt: „Wir wussten nie, ob wir dieses oder das nächste Mal pleite sind.“

Derweil stellte die Pandemie laut Liasota keine allzu große Herausforderung dar. Die Schließungen der Bühnen waren kürzer als in anderen Ländern und die Beschränkungen weniger strikt. Zudem hätten alle Teammitglieder unterschiedliche Projekte und seien nicht abhängig von den Musicals. „Wir brauchen ein paar Wochen Proben und dann haben wir die Show“, erklärt Liasota. Im Laufe der Zeit hat Comme il faut zahlreiche Musical-Projekte umgesetzt und sogar Gastspiele in Südkorea und gehabt. Dadurch sei es manchmal schwierig gewesen, eine Gruppe für die Auftritte in der Ukraine zusammenzustellen. Am Ende hat es aber immer geklappt.

Russlands Invasion ändert alles

Aber Russlands großangelegte Invasion in der Ukraine brachte jetzt alles zum Erliegen. Liasota ist die ganze Zeit in Kyjiw geblieben, während viele das Land verlassen haben.

Ich habe meine alte Oma und meine Mama hier und ich habe verstanden, dass meine Mama nicht ohne Oma geht und Oma nicht gehen kann. Also blieb ich selbstverständlich bei ihnen. Es war so beängstigend, aber ich lebe und das sind großartige Nachrichten.

Vor Februar hatte „Comme il faut“ viele Auftritte terminiert und große Pläne. Nun hatten sie im Sommer mit den Proben für zwei kleine Shows begonnen, doch die wurden wieder abgesagt. „Wegen der Luftalarme wollen die Verantwortlichen der Theater für nichts verantwortlich sein“, erklärt Liasota.

Krieg beeinfluss Kunst und Kultur

Dennoch ist sie zuversichtlich, dass Kunst und Kultur ins öffentliche Leben zurückkehren werden; wenn auch vom Krieg geprägt. „Es wird um den größten Schmerz, den wir aktuell fühlen, gehen“, ist sie sicher. Denn dieser Schmerz werde jeden Tag größer. Wenn Krieg in ein Land komme, werde jeder Mensch zu einem Bruder oder einer Schwester. „Und wenn du liest, dass jemand in Krementschuk, in Mariupol, in Charkiw, in Winnyzja gestorben ist, hast du das Gefühl, dass es dein Bruder oder deine Schwester ist“, erklärt sie. Kreative Menschen kanalisierten diesen Schmerz in ihren Werken.

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In den sechs Kriegsmonaten arbeitete Liasota selbst mit einer Kollegin an einem Kammerspiel. Es geht um zwei Schwestern, eine versteckt sich in Charkiw in der Metrostation, die andere sitzt im Luftschutzkeller in Mariupol. „Sie versuchen telefonisch Kontakt aufzunehmen und die Dialoge sind Gedichte und dazwischen kommen ukrainische Lieder vor“, erklärt sie das Stück, das sie noch nicht aufgeführt hat. Aber wenn sie darüber spricht, wird deutlich, wie emotional es für sie ist. „Ich kann es nicht einmal lesen, ohne zu weinen.“ Liasotas Wunsch ist, es eines Tages im Ausland aufzuführen, damit die Menschen die Gefühle der Ukrainer:innen live auf der Bühne sehen können, anstatt nur im Fernsehen.

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