Verhaftet, abgeschoben, zurückgekehrt: Der Syrer Anas al Mustafa wehrt sich juristisch gegen das, was ihm der türkische Staat angetan hat. Doch die türkische Justiz ist ein weiteres Hindernis.
Seinen Kampf gegen die türkischen Behörden hat Anas al Mustafa augenscheinlich gewonnen, doch der Sieg bleibt ihm weiterhin verwehrt. In einem 15-seitigen Dokument hat die Arbeitsgruppe zu willkürlicher Inhaftierung (WGAD) des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR) für die UN-Menschenrechtskommission (HRC) bereits im Mai dieses Jahres festgehalten, dass der inzwischen 43-Jährige entgegen der Menschenrechtskonvention seiner Freiheit beraubt wurde.
Kurzer Rückblick: al Mustafa flüchtete im Jahr 2016 aus Syrien in die Türkei. In Konya baute er sich ein neues Leben und als Unterstützer von Witwen und Waisen ein internationales Netzwerk auf. Einer nach eigenen Aussagen grundlosen Verhaftung folgte 2020 die nach türkischer Darstellung freiwillige Rückkehr nach Syrien. Kein halbes Jahr später ist er zurück in Konya und sucht die rechtliche Auseinandersetzung auch auf internationaler Ebene. Im Herbst 2021 haben wir ihn in Konya getroffen.
Das Opfer sieht sich nun bestätigt. Al Mustafa betont gleich zu beginn des Gesprächs und in dessen Verlauf immer wieder:
„Das bedeutet, dass ich zu 100 Prozent unschuldig bin.”
Tatsächlich vertritt die Arbeitsgruppe eine klare Linie, nachdem sie beide Parteien zu Wort hat kommen lassen. Die türkische Regierung solle die „notwendigen Schritte“ einleiten, um „die Situation al Mustafas ohne Verzögerung zu beheben und sie in Konformität mit den relevanten internationalen Normen“ zu bringen. Seine Verhaftung sei willkürlich gewesen, die Abschiebung eine Verletzung des Prinzips der Nicht-Zurückweisung. Nach allen Umständen sollte al Mustafa außerdem entschädigt werden. Er solle Schutz nach internationalem Recht erhalten, um entweder seinen Status zu legalisieren oder die Umsiedlung in ein Drittland in die Wege zu leiten.
Doch passiert ist seitdem: nichts. „ich fühle mich, als kollabiere ich“, sagt al Mustafa mit hektischer und zitternder Stimme am Telefon. Trotz dieser eindeutigen Haltung erhalte er noch immer nicht die Möglichkeit, sich als syrischer Gast oder als Mensch vor nationalen Gerichten zu verteidigen. „Was soll ich machen?!“, kommentiert er verzweifelt. Solle er etwa seinen Verstand verlieren statt sein Recht zu erhalten? So werde er letztlich gezwungen, den illegalen Weg nach Europa einzuschlagen.
Woran es derzeit scheitert, weiß Menschenrechtsanwalt Kurtulus Bastimar. „Das regionale Verwaltungsgericht hat jüngst entschieden, dass ein G-82-Code mit dem nationalen Recht vereinbar ist und die Entscheidung in erster Instanz nicht unrechtmäßig war“, erklärt er – ohne Begründung; ein laut ihm gängiges Problem in der Türkei.
Dieser Einschränkungs-Code wird eigentlich für „Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit“ verhängt, wie aus der WGAD-Analyse hervorgeht. Doch die türkische Regierung legte nicht einmal Gründe vor, wieso al Mustafa eine Gefahr darstellen sollte. Genauso wenig wie für die Abschiebung. Daher könne nur davon ausgegangen werden, dass sein humanitäres Engagement für Witwen und Waisen zu Freiheitsberaubung und Abschiebung geführt hätten; oder zumindest ein Faktor gewesen seien.
Nach Bastimars Einschätzung handeln daher beide Gerichte gegen internationales Recht, er will nun vor dem Verfassungsgericht in Berufung gehen. Doch selbst wenn das gegen al Mustafa und für den G-82-Code entscheiden sollte, bleibe der Wiederspruch zum internationalen Recht bestehen. „Internationales Recht überwiegt nationales Recht“, merkt der Anwalt an. Er vermutet daher, dass so die – nationale – Rechtsgrundlage für eine erneute Abschiebung des Syrers gelegt werden solle. Auch wenn die in al Mustafa Fall für die Dauer des Rechtsstreits nicht unmittelbar drohe. „Die Regierung will all diese Menschen abschieben“, sagt er.
Ihm selbst lägen inzwischen mehr als 60 ähnliche Fälle vor.
Was bleibt, wäre ein weiterer, langwieriger Gang zur höheren Instanz: Dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). „Das wird uns auch helfen, um Europa zu zeigen, dass die Menschen unter diesen Umständen in der Türkei leiden“, sagt er.
Al Mustafa würde sich indes gerne jeglichen Ermittlungsverfahren stellen, sagt er. Dann könne er sich immerhin fair verteidigen – doch Vorwürfe seien gegen ihn bislang nicht erhoben worden. „Ich weiß wirklich nicht, was ich machen soll“, seufzt er: „Ich will nicht zurück nach Syrien. Ich will dort nicht entführt oder ermordet werden.“ Zumindest ist der 43-Jährige in den vergangenen Monaten wieder etwas aus der Deckung gekommen und hat seine humanitäre Arbeit wieder aufgenommen.
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