Künstler Gökhan Aslan lässt kurdische Traditionen modern aufleben

Gökhan Aslan ist Künstler aus Diyarbakir. Mit seinen teils provokaten Werken stößt er in der Türkei auf heftige Widerstände. Doch sieht er in seiner Arbeit einen entscheidenden Vorteil.

Für das Gespräch lädt Gökhan Aslan in sein lichtdurchflutetes Atelier in Diyarbakir; in den Nachbarräumen arbeiten weitere Künstler; der größte ist für Seminare gedacht. In der Mitte seines kleinen Atelier-Raumes steht ein kleiner Tisch, an den sich das Trio setzt; dazu serviert er Tee und Gebäck. Im Hintergrund läuft klassische Musik; immer wieder dieselben Melodien. Schon die Exponate in dem Raum bilden ein breites Spektrum an Kunst ab, die Aslan über Jahre für sich entdeckt hat. „Kunst ist offen, sie steht über der Politik“, sagt er.

Seine Ausbildung hat er an der Gazi-Universität in Ankara erhalten, später beschäftigte er sich auch zunehmend mit Bildhauerei. Zwei Werke an der Wand fallen gleich ins Auge. Das erste gehört zu einer Reihe aus 25 Einzelbildern, die zusammenhängen. „Frauen in Mesopotamien mit Symbolen“ nennt Aslan es. Jedes der Bilder stehe für sich und bilde die Vielfalt der Region zwischen Tigris und Euphrat ab, erläutert er: „Jede Zivilisation hinterlässt etwas von sich selbst.“ Viele Inspirationen habe er rund um die historischen Stadtmauern von Diyarbakir gefunden.

Gökhan Aslan in seinem Atelier.

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Kurdische Frauen im Fokus

Wie in vielen anderen Werken legt Aslan dabei auch einen Fokus auf kurdische Frauen. Fruchtbarkeit sei hier ein großes Thema; das zeigen auch die Skizzen von Schwangeren, die sich an vielen Stellen finden. Auch kulturelle Feinheiten stellt er dar, wenn er etwa die traditionellen Tätowierungen aufgreift. Besonders in Regionen, in denen Kurdinnen am meisten unterdrückt worden seien wie Mardin oder Urfa, habe sich diese Tradition entwickelt. „Es gibt selbstverständlich verschiedene Ausdrucksformen“, erläutert Aslan. Manche Tattoos thematisierten eher Frauen bei der Arbeit, andere wiederum religiöse Rituale. Die Kunst sei Mittel gewesen, sich und innere Reflexionen auszudrücken.

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In anderen Werken beschäftigt sich Aslan mit dem viergeteilten Kurdistan, den türkischen Luftangriff auf Uludere im Jahr 2011 in Anlehnung an Picassos Guernica. In Europa habe das leider nur wenig Beachtung gefunden, bedauert er. Genauso thematisiert er Ereignisse der jüngeren Geschichte wie den Einmarsch des selbsterklärten Islamischen Staates in Shingal (auch: Sindschar) mit Plünderungen oder Exekutionen kurdischer Jugendlicher durch die Machthaber im Iran.

Hochkulturen im Zweistromland

Diese Symboliken sind für ihn auch ein Beleg doch Hochkulturen, die sich über Jahrtausende im Zweistromland entwickelt haben. Aslan verfolgt deshalb einen Ansatz, der an diese Tradition anknüpft. „Das versuche ich, hervorzuholen und auf den Leinwänden zu reflektieren“, sagt Aslan. Mit der Zeit habe sich auch sein Stil gewandelt, hin zu mehr surrealistischen Elementen und einem abstrakten Expressionismus. „Man kann moderne und traditionelle Werke verinnerlichen und als externe Reflexion behandeln“, sagt er.

Gerne lasse er sich von den steinernen Stadtmauern inspirieren, sagt Aslan. „Ich habe dort eine Verbindung, eine Übertragung“, führt er aus. Einschränkungen in seiner Kunstfreiheit habe er dabei noch nicht erlebt. Ohnehin sei er als Künstler an keinen Ort gebunden und bewege sich frei nach seinem Willen. „Ich kann besser am Wasser atmen, also gehe ich dorthin“, nennt er ein weiteres Beispiel. Zudem ließen sich an allen Orten Motive früherer Zivilisationen von Byzanz bis Rom entdecken. Besorgt zeigt sich Aslan dagegen von modernen Symboliken, etwa dem nationalistischen „Wolfsgruß“. Politik und politische Strukturen hätten in den vergangenen Jahren zunehmend Einzug in den Alltag der Menschen gehalten.

Morddrohungen wegen Kunst

Er selbst habe auch schon Morddrohungen erhalten, erzählt Aslan. Dahinter vermutet er religiöse Gruppen, die sich an seiner Arbeit störten. Ob staatliche Akteur:innen mitmischten, könne er nicht sagen. Die nach einigen Jahren angebotenen Leibwächter habe er jedoch abgelehnt. „Ich will so etwas nicht“, sagt er. Lieber stelle er sich seinen Kritiker:innen. Gleichzeitig hebt er hervor, dass er unter anderem seine Akte, bei denen er gerne mit Frauen als Modellen arbeite, gar nicht in Diyarbakir ausstellen könne. Hier müsse er aufgeschlosseneres Publikum in Sanliurfa, Istanbul oder europäischen Städten finden. Auch auf Instagram zeigt er die freizügigen Zeichnungen. Seine explizit islamkritische Kunst staube aus ähnlichen Gründen sogar im Lager ein.

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Dieses Denken verhärte sich etwa im Religionsunterricht an türkischen Schulen. „Dabei besteht eher ein Bedarf an moralischem Wissen“, kommentiert Aslan, der selbst Kunstunterricht gibt, und zieht neben Ethik auch religiöse Kultur mit ein. Eine religiöse Erziehung dagegen brauche es nicht in den Bildungseinrichtungen, die bekämen viele bereits im Elternhaus. Von der Politisierung in den Schulen profitieren Kunst und Kultur dagegen wenig. Doch angesichts der Wahlergebnisse erhofft er sich hier nur wenig politische und gesellschaftliche Öffnung in absehbarer Zeit.

Kunst nachhaltiger als Politik

Als Wahlhelfer hat sich Aslan bei den zurückliegenden Wahlen engagiert. In seinem Wahlbüro sei es ein enges, aber faires Rennen gewesen, sagt er. Wenn er darüber spricht, ist ihm trotz der Bedenken eine gewisse Gelassenheit anzumerken. „Es ist die Kunst, die von Dauer ist“, betont Aslan. Mit den Werken und Persönlichkeiten von Dalí, van Gogh oder Picasso setzten sich die Menschen deutlich intensiver und langfristiger auseinander als etwa mit Franco. Auch wenn ein:e Künstler:in sterbe, könnten die Werke immer noch entdeckt und besprochen werden.

Erdogan bescheinigt Aslan zwar einen nationalistischen Fokus, der sich wenig für die Unterdrückten im Land einsetze. Dass der Friedensprozess mit den Kurd:innen scheiterte, lastet der Künstler allerdings den Vertreter:innen beider Seiten an. „Es hätte viel besser funktionieren können“, bedauert Aslan. Das wolle er auch noch künstlerisch aufarbeiten. Denn an eine Änderung der politischen Verhältnisse glaube er nicht in absehbarer Zeit. „Alle haben unterschiedliche Forderungen“, sagt er über die Parteienlandschaft. Auch die Kurd:innen seien deshalb immer wieder Thema. Nur: „Welchem Standpunkt aus sie das tun, ist ein anderes Thema.“

Bürger:innen zweiter Klasse

Er selbst folgt dem Eindruck vieler Bewohner:innen in Diyarbakir: „Wir werden immer ausgeschlossen. Weil wir Kurd:innen sind, werden wir von Türk:innen als Bürger:innen zweiter Klasse angesehen.“ In Europa würden sie besser behandelt als in ihrer Heimat – ob mit der Akzeptanz ihrer eigenen Sprache, der Möglichkeiten zur öffentlichen Teilhabe oder ihrer beruflichen Perspektive.

Beitrag veröffentlicht am Juli 2, 2023

Zuletzt bearbeitet am Juli 2, 2023

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