International renommiert, vor Ort nur wenig beachtet: Zufällig kommen Touristen in Sarajevo kaum am War Childhood Museum (Museum der Kindheit im Krieg/Muzej ratnog djetinstva) vorbei.
Dabei liegt es nur unweit vom Zentrum der Hauptstadt Bosnien- und Herzegowinas – einen kleinen Berghang hinauf, in einem Hinterhof neben einem Supermarkt findet sich der unscheinbare Eingang. Ein paar kleine Schilder weisen den Weg zu dieser kulturellen Perle. Auf den ersten Blick erinnern sie an ein Kunstwerk Banksys und fallen so trotz ihrer geringen Größe ins Auge.
Soweit Geschäftsführerin Amina Krvavac weiß, wurden in dem weitgehend fensterlosen Gebäude, das sich in öffentlicher Hand befindet, vorher alte Stühle gelagert. „Aber wir zahlen jetzt den normalen gewerblichen Preis“, sagt sie und schmunzelt. Unterstützung vonseiten des Kantons habe das War Childhood Museum kaum erhalten. Die Bedingungen mögen nicht optimal sein, eindrücklich ist die hier gezeigte Ausstellung allemal: Kleidungsstücke, Spielzeuge, Alltagsgegenstände erzählen die Geschichten von Kindern und wie sie den Krieg erlebt haben. Dazu sind die Erinnerungsstücke im War Childhood Museum einzeln in Vitrinen ausgestellt oder von der Decke aufgehängt. Jeder Gegenstand ist perfekt ausgeleuchtet, als handle es sich nicht um Spielzeug, Kleidungsstücke und Übriggebliebenes, sondern wertvolle Juwelen und Antiquitäten.
Die dunklen Wände heben die Gegenstände, die hell angestrahlt werden, besonders deutlich hervor. Da hängen Jeans, Schultaschen und ein zartes ausgeblichenes Oberteil von der Decke. Eine Schaukel hat einen Raum allein für sich erhalten. In Vitrinen liegen Spielzeug, Bücher und Lebensmittelverpackungen und eine Wand ist komplett von einem Konstrukt aus Stahlrohren bedeckt – ein altes Klettergerüst. Letzteres ist das einzige Exponat, das hier dauerhaft zu sehen ist. Die anderen, einfacher austauschbaren Erinnerungsstücke, wechseln in unregelmäßigen Abständen. Rund 50 von ihnen sind immer gleichzeitig zu sehen.
Hinweisschilder und farbige Markierungen führen durch das Museum und weisen auf die Exponate hin, die kindertauglich sind, also keine besonders schlimmen Erfahrungen beschreiben. Krvavac erklärt, dass diese so auch Erwachsenen als Leitfaden dienen können, die unsicher sind, wie viel Leid sie aushalten können.
Die kurzen Texte, die die Exponate begleiten, sind jeweils von denen verfasst, die die Erinnerungsstücke eingereicht haben. Sie laden sehr unmittelbar und direkt zum Einfühlen und Mitfühlen ein. Mal sind die Besucher:innen mitten im Krieg in einem Wohnzimmer und erfahren, wie hier eine Lampe gebastelt wurde. Mal begleiten sie ein Kind auf dem Schulweg oder lernen, wie aus einem Spielplatz ein Ort des Schreckens werden konnte.
Begonnen hatte alles mit einem Facebook-Post im Jahr 2011. Museumsgründer Jasminko Halilovic war überrascht, wie viele Reaktionen er auf eine einfache Frage – „Was war Kriegskindheit für euch?“ – erhielt und merkte: “Es gibt ein Bedürfnis.”
Im Jahr 2014 angefangen mit Erinnerungen im eigenen Land, lagern inzwischen mehr als 3000 Exponate im Archiv des War Childhood Museum. Erweitert um Kriegsflüchtlinge aus Syrien im Libanon und in Serbien oder Kindern im Gazastreifen. In der Ukraine baut die Einrichtung gerade ein eigenes Büro auf, um den Krieg aus Sicht der heranwachsenden Generation zu dokumentieren. „Man vermenschlicht damit Kinder im Krieg“, sagt Krvavac über den Ansatz.
Für die Geschäftsführerin, die selbst aus dem Kinderrecht kommt, sei es wichtig, ein erweitertes Bild zu zeigen, wie Kriege Kinder betreffen. Es gehe um Ermächtigung der Kinder statt Mitleid durch die Besucher. Deshalb handeln die Geschichten auch nicht nur von Not und Elend, sondern vom Alltag im Krieg. Manchmal ringen die Anekdoten den Besucher:innen auch einfach ein Schunzeln ab. Über den Ansatz sagt Krvavac:
Wir haben alle die Idee geteilt, Würde und die Bedeutung von Kindern und ihren Erfahrungen als eine bedeutsame Plattform zu sehen.
Standen zu Beginn die Erfahrungen im eigenen Land im Fokus, hat sich mit den neuen Krisenherden der Gegenwart auch das Bild der Initiator:innen erweitert. „Es gibt einige universelle Aspekte in den Erfahrungen“, schildert Krvavac. Was das genau bedeutet, weiß Jasminko Halilovic, Mitgründer des War Childhood Museum und Leiter des Büros in Kiew.
Die individuellen Erlebnisse seien oft entscheidender als der Kontext oder der Ort. „Die Erfahrungen von Flüchtlingen aus Syrien, Bosnien und Ukraine sind wahrscheinlich ähnlicher als von zwei Menschen in Bosnien, wenn einer Flüchtling war und einer nicht“, führt Halilovic aus.
Wenn Besucher:innen und Teilnehmer:innen, die selbst Krieg erlebt haben, diese Erkenntnis gewännen, sei das häufig eine bereichernde Erfahrung. „Es ermutigt, wenn sie diese grenzübergreifenden Geschichten und verschiedenen Kontexte verbinden können“, erklärt Halilovic weiter.
Diesen Ansatz, sich nicht nur auf den Krieg in Bosnien und Herzegowina zu fokussieren, habe das Team von Beginn an verfolgt:
Unsere Intention war, eine internationale Plattform für Menschen zu schaffen, um zu teilen, zuzuhören und gemeinsam zu lernen.
Initiator des War Childhood Museum
Inzwischen habe das War Childhood Museum die Bestätigung für die These. Von Teilnehmer:innen habe er mehrfach gehört, dass die Spende eines Objekts der eigenen Geschichte in Verbindung mit Erfahrungen der heutigen Generation mehr Bedeutung verleihe, sagt Halilovic.
Dabei würden die Gespräche selbstverständlich – wann immer notwendig – von psychologischen Fachleuten begleitet. Der Unterschied zwischen dem Beginn des Projekts mit seiner Generation, die ja inzwischen erwachsen sei, und aktuell tatsächlich noch Minderjährigen, sei auch in der Herangehensweise zu berücksichtigen. Je frischer die Kriegserfahrung, desto wichtiger sei es, dass die Menschen psychologische Unterstützung bei den Interviews erhielten, eine Art Begleitung und Anleitung, und „die Erlaubnis zu sprechen.”
Diesen Unterschied zwischen aktuellen und ehemaligen Kriegskindern professionell umzusetzen, sei eine große Sache für sie gewesen. Inzwischen sei das Konzept so ausgearbeitet, dass es inklusiv sei, um sowohl ehemalige als auch aktuelle Kriegskinder ins Projekt einzubinden.
Einen anderen Ansatz, um die Geschichte der ehemaligen jugoslawischen Länder aufzuarbeiten, hat die Youth Initiative for Human Rights (YIHR, Jugendinitiative für Menschenrechte/Inicijativa mladih za ljudska prava) gewählt. Durch Reisen und Austausch in der Region sollen sich junge Menschen mit den Ereignissen und den verschiedenen Perspektiven auseinandersetzen, erklärt Branka Vierda, bei YIHR Koordinatorin für das Gerechtigkeits- sowie Aussöhungsprogramm.
Das sei aufgrund der vorherrschenden Narrative in den Ländern und Institutionen nicht immer einfach. „Das Denkmal für die Opfer von Bürgerkriegen in Podgorica ist das das einzige dieser Art in den ehemaligen jugoslawischen Ländern“, nennt sie ein Beispiel.
Stattdessen sei der Besuch eines Museums in Vukovar verpflichtend, das sie für durchaus problematisch halte. „Es zeigt nicht das ganze Bild. Die Führer sind überwiegend Soldaten“, führt sie aus. Die hätten zwar ihre eigenen, emotionalen Gründe, sich an einem solchen Projekt zu beteiligen. Ihre Sichtweise lade jedoch nicht unbedingt dazu ein, sich zu versöhnen. Die Folge: „Die Schüler:innen kommen nationalisiert zurück.“
Selbstverständlich sei es wichtig, den Jugendlichen zu erklären, dass die Bewohner:innen Vukovars in den 1990er Jahren großes Leid erfahren hätten. Gleichzeitig habe es jedoch lange ein friedliches Miteinander und ein normales Leben für alle gegeben.
Andere Museen griffen zwar einzelne Ereignisse auf, setzten sie jedoch nicht in den Gesamtkontext. Das War Childhood Museum in Sarajevo verfolge zwar einen anderen, ganzheitlichen und emotionalen Ansatz, lobt Vierda. „Aber es zeigt nicht die ganze Perspektive“, merkt sie an, dass hier die historischen Ereignisse in den Hintergrund treten.
Erschwerend komme bei der Aussöhnung hinzu, dass es noch nicht einmal einheitliche Definitionen für die jeweiligen Kriege gebe. Entsprechend richte sich der Schulunterricht in den jeweiligen Ländern nach den eigenen Narrativen aus. Der „Vaterlands“-Krieg in Kroatien etwa beinhalte nicht die kroatischen Verbrechen im benachbarten Bosnien und Herzegowina.
Gemeinsam mit den Jugendlichen arbeitete die Youth Initiative for Human Rights daher an einer Sammlung gemeinsamer Narrative, die miteinander ausgearbeitet und ausgehandelt würden. „Wir sind zu den Orten gegangen, an denen die schlimmsten Grausamkeiten passiert sind“, erklärt Vierda. Durch Gespräche mit verschiedenen Menschengruppen, eigener Recherche und Anleitung arbeiteten sie in drei Jahren gemeinsam an einem Buch, das die Ergebnisse zusammenfasst. „Dieser Prozess von gemeinsamen Narrativen und Erinnerungen ist wichtig“, betont Vierda.
Das Buch solle in seiner Machart bereits aufzeigen, dass Geschichte immer fortgeschrieben werde. Ein Ringbuch halte sie daher für das passende Format: Es lasse sich nach und nach ergänzen. Ob das, was die Youth Initiative for Human Rights mit den Jugendlichen ausgearbeitet hat, einmal Einzug in Schulbücher halten solle, die im regulären Geschichtsunterricht Verwendung fänden? „Das ist eine Utopie”, meint Vierda. Sie hätten allerdings Kontakt zu Lehrer:innen und NGOs.
Doch das sei nach mehr als 20 Jahren erst der erste Schritt für eine soziale Entwicklung, in der Geschichte nicht länger institutionalisiert werden solle. Hier lässt sich wieder die Schnittstelle zum War Childhood Museum in Sarajevo beobachten: Verständnis für die Erfahrungen und Erlebnisse der anderen entwickeln.
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