Abschiebung ohne Rechtsgrundlage: Das wirft Kurtuluş Baştimar den türkischen Behörden im Fall von Anas al Mustafa vor. Für ein faires Verfahren setzt er auf internationale Organe.
Kurtuluş Baştimar ist Anwalt für Internationale Menschenrechte. Er vertritt als solcher Journalist:innen, Menschenrechtsaktivist:innen und politische Gefangene aus dem Iran, der Türkei, Vietnam, Kuba und weiteren Ländern. Die Idee, nationales Recht zu studieren, habe er nie verfolgt, verrät er im Gespräch. Gerade türkisches Recht zu studieren, hielt er für wenig sinnvoll, werde es doch sowieso viel zu oft gebeugt oder nicht eingehalten. Das spielt auch in seinem aktuellen Fall eine Rolle.
Er vertritt Anas al Mustafa seit rund drei Monaten in seinem Verfahren gegen das türkische Migrationsamt vor dem Verwaltungsgericht „Sein Fall ist ähnlich wie der der iranischen Aktivistin Nasibe Shamsaei, den ich bereits gewonnen habe: Die Türkei musste ihre Abschiebung in den Iran stoppen“, schildert er. Gleichzeitig habe er noch nie einen solchen Fall erlebt wie den von al Mustafa. Es seien allein formal so viele Fehler gemacht worden, es fehlten Belege und eine rechtliche Grundlage, um das Handeln der türkischen Behörden zu legitimieren.
Der Jurist beschreibt al Mustafas Fall als schwierig. Er werde als Bedrohung für die nationale Sicherheit gebrandmarkt, obwohl hierfür bisher keinerlei Beweise angeführt worden seien. Doch auch ohne handfeste Grundlage erschwere dieser Vorwurf das Gerichtsverfahren im Land. Daher hat Baştimar inzwischen eine zweite Ebene ins Spiel gebracht: Die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen. „Das Verfahren vor dem türkischen Gericht hilft uns lediglich dabei, Zeit zu gewinnen. Wir wissen, dass es auf nationaler Ebene keine Lösung geben wird: Im Land gibt es keine unabhängigen Institutionen“, beschreibt er die Taktik. Außerdem sei es formal notwendig, zuerst ein Verfahren vor einem nationalen Gericht durchzuführen, bevor man die internationale Ebene einbezieht.
Solange dieses Verfahren läuft, dürfte es außerdem nicht zu einer erneuten Abschiebung kommen. Zumindest in der Theorie. „Die Türkei ist nicht sicher für Anas. Ich kann nicht garantieren, dass er nicht verhaftet und abgeschoben wird“, gibt Baştimar zu bedenken. Theorie und Praxis klafften hier auseinander. Der offizielle Grund für die erste Abschiebung habe schließlich bereits auf einem Paragrafen beruht, der gar nicht existiere. „Das ist das erste Mal, dass ich so etwas erlebe. Das hat mich überrascht“, sagt Baştimar. Er sieht al Mustafas Engagement im Bereich der humanitären Hilfe als Ursache für das Vorgehen gegen dessen Person und betont mit Blick auf die rund viel Millionen Syrer:innen im Land: „Die Mehrheit hat das Recht, zu bleiben. Aber bei Anas sagen sie: Er ist eine Gefahr.“
Für diese Anschuldigungen habe die türkische Seite jedoch bisher noch keinen Beweis erbracht. Zumal al Mustafa vor und nach seiner Abschiebung keine Möglichkeit gehabt habe, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen. „Am problematischsten finde ich, dass die Polizei an der Grenze sagte, dass sie eine Straftat für ihn aussuchen würden und es keine Rolle spiele“, merkt er an. Anschließend sei ihm eine freiwillige Rückkehr nach Syrien angelastet worden.
Genau hier sieht Baştimar weitere Rechtsverletzungen seitens der Türkei – in zwei Aspekten. Zum einen hätten Syrer:innen auch nach der freiwilligen Rückkehr in ihr Herkunftsland das Recht, erneut um Schutz zu bitten. „Aber die Türkei sagte, er hat kein Recht zu bleiben. Er wird verhaftet und abgeschoben“, führt der Anwalt aus. Dafür spiele es auch keine Rolle, ob der Grenzübertritt legal oder illegal erfolgt sei. Hinzu kommt, dass Syrer:innen aus der Türkei an Feiertagen und zu besonderen Anlässen nach Syrien reisen dürfen und von dort aus auch wieder ohne rechtliche Einschränkungen in die Türkei zurückkehren könnten. „Das ist eine riesige Diskriminierung für Anas“, merkt er an.
Dennoch rät Baştimar seinem Mandanten, vorsichtig zu sein, bis der Fall endgültig geklärt ist. Er rechne sich gute Chancen aus, dass die UN-Arbeitsgruppe zu seinen Gunsten entscheide. Demnächst soll der Termin dafür bekannt gegeben werden. Mit der Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft dürfte eine rechtswidrige Abschiebung dann vom Tisch sein. Denn durchsetzen kann das UN-Gremium seine Beschlüsse nicht, auch wenn seine Entscheidungen in der Theorie höhere Bedeutung haben sollten als nationale Gerichtsbeschlüsse. Dass die Türkei in diesem Fall die internationale Rechtsprechung befolgen wird – anders als etwa beim Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala oder dem kurdischen Politiker Selahattin Demirtaş – sieht er in al Mustafas geringerem Bekanntheitsgrad: „Bei gewöhnlichen Menschen gibt es einen anderen Ansatz.“
Baştimar arbeitet parallel daran, al Mustafa ein Visum für Italien zu beschaffen. Dort könnte er eine Arbeitsstelle bei einer Menschenrechtsorganisation erhalten, die ihn bereits bei seinen Aktivitäten in der Türkei unterstützt hatte. Dann sei auch das Gerichtsverfahren in der Türkei nicht weiter von Bedeutung.
Beitrag veröffentlicht am November 7, 2021
Zuletzt bearbeitet am November 7, 2021
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