Kriegstraumata abseits der Front

Die Emotionen hinter dem traumatischen Erlebnis zeigen sich erst zum Ende des Gesprächs. Als Hania ihren Gästen wünscht, dass sie so etwas nie erleben müssen. „Wir sind Großmütter. Ich hätte nie gedacht, dass wir einmal über Krieg sprechen“, sagt die 56-Jährige. Doch als Anfang März in unmittelbarer Nachbarschaft eine Rakete einschlug, suchte er Velyka Vil’shanytsya heim.

Trümmerteile im Garten

Garten an Garten lebte Hania mit ihren Nachbar:innen, die nun verstorben sind. Von ihrem Schlafzimmer-Fenster aus blickt sie über die Ackerflächen und Trümmerteile auf das eingestürzte Gebäude gegenüber. „Wir sind nicht reich, aber das ist unser Zuhause“, schluchzt Hania. Dass hier keine wohlhabenden Menschen wohnen, zeigt sich bereits auf dem Weg zu ihr: Von einer mit Schlaglöchern übersäten Straße geht es ab auf einen Feldweg, auf dem das Auto mehr schliddert als fährt.

Das Erlebnis prägt das Viertel. Das Schhhhhhhhhhhh der Rakete, die Explosion, der Verlust der Freund:innen, ihr hilfloser Versuch, noch anzurufen – in der Hoffnung auf Antwort: Die Momente seien ihr noch immer präsent, schildert Hania.

Die Anwohnerinnen Maria, Hania und Nadiya erzählen vom Raketeneinschlag in Velyka Vil'shanytsya.
Die Anwohnerinnen Maria, Hania und Nadiya erzählen vom Raketeneinschlag in Velyka Vil’shanytsya.

Zerborstene Fensterscheiben

Wie einige ihrer Nachbar:innen ist sie unmittelbar von dem Einschlag betroffen. Nicht nur wegen der Raketensplitter und Dachbleche, die sich noch immer über ihr Grundstück verteilen. Auch einige ihrer Fenster zerbarsten und sind nun mit Plastikplanen abgedeckt, andere lassen sich durch die Beschädigungen nicht mehr schließen. „Ich habe vier Jahre darauf gespart“, sagt Hania, als sie auf die Schäden an den Fensterrahmen zeigt.

Risse in Wänden und Decken durch die Erschütterung lassen sie ebenfalls ratlos zurück. In der linken Hand klammert sie sich an einem kleinen Ast. Die verschmutzen Hände und die Farbe auf ihrer Kleidung zeugen davon, dass sie hier nahezu pausenlos versucht, alles wieder in Ordnung zu bringen. „Ich fühle mich hilflos“, gibt sie offen zu. Auf dem kleinen Hof mit zwei Gartenhäuschen lebt sie allein. Im Hintergrund schnattern die Gänse, der bellende Hund trug durch den Raketeneinschlag Verletzungen an den Hinterbeinen davon.

Entschädigung reicht nicht für Reparaturen

6000 Hrywnja, rund 150 Euro, habe sie über einen Fonds der Vereinten Nationen als Entschädigungen erhalten. Von Helfer:innen kam auch Essen, auf das sie eigentlich nicht angewiesen, für das sie aber trotzdem dankbar sei. Doch vor allem das Geld reiche nicht aus, um die Schäden zu beseitigen. „Ich habe keine Möglichkeit, zu arbeiten“, sagt Hania: „Wir sind mitten im Nirgendwo.“ Doch im Ort fahre kein Bus.

Nadiya erzählt, dass sie 30 Jahre lang gearbeitet und wegen des Krieges ihren Job verloren habe. Für eine Rente seien sie jedoch alle noch zu jung. Eine Schwester habe sie noch in Lwiw, merkt Hania an. Zwar erfahre sie auch Unterstützung aus der Nachbarschaft, damit lasse sich aber nicht alles reparieren: „Ich habe nur mich selbst.“

Wie ein schlechtes Omen

In jener Nacht zum 9. März hätten sie alle schlecht geschlafen, es sei wie ein schlechtes Omen gewesen, erzählen auch jene Nachbarinnen, die wie Hania überlebt haben und ebenfalls von Schäden an ihren Häusern berichten. Hania selbst setzte sich nach einem schlechten Traum vor den Fernseher, erfuhr vom landesweiten Luftalarm – nur gelegentlich seien die Sirenen aus dem Nachbarort zu hören. „Dann kam die Explosion“, rekapituliert sie. Der Alarm sei auch vorher schon jedes Mal beängstigend gewesen, ebenso die tief fliegenden Flugzeuge. Doch nun sei die Angst insbesondere nachts noch größer.

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