In Sonneberg gewinnt ein AfD-Kandidat die Landratswahl. Doch nicht alle Einwohner:innen wollen das schweigend hinnehmen.
Die Nation spricht über den Wahlerfolg AfD in Sonneberg: Robert Sesselmann hatte hier Ende Juni als erster AfD-Kandidat die Landratswahl für sich entschieden und leitet damit für die kommenden sechs Jahre die Kreisverwaltung.
Doch in Sonneberg selbst gestaltet sich die Lage in den Tagen nach der Wahl deutlich ruhiger, als es die Debatten in (sozialen) Medien annehmen lassen. Insbesondere AfD-Wähler:innen halten sich bedeckt und noch zurückhaltender, wenn sie sich gegenüber der Presse äußern sollen. Doch auch von der Gegenseite bleiben öffentlich wirksame Aktionen aus. Stattdessen prägt ein ruhiger Alltag das Stadtbild.
Manche wirken gar eingeschüchtert angesichts der großen Resonanz. Plötzlich steht der zweitkleinste Landkreis Deutschlands, einst als Weltspielzeugstadt berühmt, im Fokus der internationalen Presse. Da beobachten sie trotz der unmittelbaren Betroffenheit lieber aus der Deckung heraus, was dieses Wahlergebnis eigentlich für sie bedeutet. „Jede:r macht einfach ihr:sein Ding“, beobachtet auch Marisa Höhne. Viele seien in Lauerstellung.
Noch am Montagabend nach der Wahl zeigt sie sich beim Spaziergang mit ihrem Hund in einem Sonneberger Park fassungslos. Wie konnte eine vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei hier eine Mehrheit erlangen? Die bloße Unzufriedenheit mit der aktuellen Regierungspolitik allein könne es nicht sein, vermutet Höhne. „Ich bin enttäuscht, dass es so weit gekommen ist“, sagt sie.
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Für ein Gespräch lädt Höhne anschließend in ihr Kosmetikstudio in Sonneberg. Auf ihrem T-Shirt prangt ein Schriftzug mit „Black Lives Matter“, am Eingangsbereich hängt eine Regenbogenfahne. Sie will dem rechten Gedankengut, das zunehmend das öffentliche Bild prägt, etwas entgegensetzen. An den Schaufenstern der Initiative „Sonneberg zeigt Gesicht“, die aus den Corona-Protesten hervorging, und auf Demonstrationen habe sie schon Reichsflaggen gesehen. Einschlägige Tattoos und Bekleidungen lassen sich im Stadtbild ebenfalls schnell finden. „Viele zeigen das nach außen nicht so. Aber es gibt viele Symbole und Gesten – ich rieche das aus 500 Metern“, merkt sie an.
Nur auf Frust oder Protest lässt sich die Stimmmehrheit für die AfD für Höhne daher nicht zurückführen. „Rechte Tendenzen gibt es definitiv“, erzählt sie. Mindestens einmal täglich höre sie, wie faul die Ausländer:innen und auch die Ukrainer:innen seien. Selbst die gespendete, gebrauchte Kleidung löse bei manchen Eifersucht aus. „Ich habe versucht, die Gespräche zu meiden, weil sie mir auf die Nerven gehen“, sagt Höhne, die die Vorurteile und Ablehnung auch aus der Tochter ihrer Schule kennt. Künftig wolle sie Rassismus vehementer entgegentreten, auch wenn sich ihr gegenüber noch keine:r als AfD-Wähler:in bekannt habe.
Dabei macht die Innenstadt Sonnebergs einen durchaus diversen Eindruck wie nahezu jede typische deutsche Stadt. Dönerläden reihen sich an Asia-Imbisse, türkische, russische und orientalische Märkte bieten neben den üblichen Ketten ein abwechslungsreiches Angebot für die alltäglichen Einkäufe. „Berührungspunkte wären möglich, aber sie werden gemieden“, beobachtet Höhne.
Als Bewohnerin der Innenstadt stört auch sie, dass es abends oft laut wird und es gelegentlich auch zu Randale durch Jugendliche – unabhängig von der Nationalität – kommt: „Man muss immer wieder darauf aufmerksam machen: Ihr seid hier nicht die Einzigen.“ Nicht selten werde sie dafür selbst beleidigt und angepöbelt; wohlgemerkt auf Deutsch. Auch den öffentlichen Drogenkonsum in der Innenstadt benennt Höhne als ein großes Problem. Den Jugendlichen fehlten in Sonneberg auch schlicht Angebote wie Jugendzentren mit entsprechender Sozialarbeit.
Mit allem zufrieden ist also auch Höhne nicht. Dass eine Landratskandidatin einen Zigarettenstummel in ihrem Garten entsorgt habe, habe auch bei ihr den Frust befeuert. Und so sind es auch Lokalthemen, die der AfD in die Karten gespielt haben dürften. Denn Gegenkandidat Jürgen Köpper hatte das Amt des Landrats mehrere Monate kommissarisch inne und engagierte sich zuvor als Stellvertreter. „Er hat viele vor den Kopf gestoßen“, erzählt Höhne. So habe er etwa versprochen, die Schule in Mengersgereuth-Hämmern erhalten zu wollen – und am Ende doch deren Ende nach einem Veto des Kultusministeriums mitbesiegelt.
Ebenso habe es wenig Vertrauen eingebracht, dass er seiner Partnerin ins Landratsamt verholfen haben soll, wie bei Gesprächen in Sonneberg immer wieder zu hören ist. Andere beklagten zudem mangelnde rhetorische Kompetenzen im Vergleich zum AfD-Kandidaten, der als Rechtsanwalt mit Worten umgehen könne, und ein nahezu anbiederndes Verhalten im Wahlkampf.
So dürfte es eine komplexe Gemengelage gewesen sein, die Sesselmann und der AfD den ersten Spitzenposten bei der Wahl einbrachte. „Viele sagen: Wäre der Gegenkandidat ein Sympathieträger gewesen, hätte er gewonnen“, sagt Höhne. Aus Überzeugung dürfte die AfD in Sonneberg keine Mehrheit in der Stichwahl bekommen haben. Doch die rechtsextremen Teile der Partei schrecken die Protestwähler:innen offenkundig nicht mehr ab. Höhne und andere bekennende Kritiker:innen wollen sich künftig verstärkt dafür einsetzen, dass das in Zukunft nicht mehr passiert.
Beitrag veröffentlicht am Juli 7, 2023
Zuletzt bearbeitet am Juli 7, 2023
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