Sergey Panashchuk arbeitet als Journalist in Odesa. In den vergangenen Jahren hat er versucht, sich vom Krieg im Donbass möglichst fern zu halten. Jetzt sind die Kämpfe in seine Stadt gekommen.
Freie Fotografin seit 2009, freie Journalistin seit 2011, Mitbegründerin von Witness Europe und Report vor Ort.
Sergey Panashchuk ist einer, der einen Radar für Menschen hat; besonders für die völlig unbekannten auf der Straße. Wenn er jemanden anspricht, wird nur selten ein Pressezitat abgelehnt; eigentlich alle haben dann etwas zu sagen und wenn es nur etwas Kurzes ist. Komplimente zu seiner Herangehensweise wimmelt der 37-Jährige jedoch ab: “Das ist mein Job. Den mache ich seit 18 Jahren.”
Als wir mit Panashchuk Ende Januar durch die Ostukraine unterwegs sind, versuchen wir mehrfach, ihm ein Lob auszusprechen; es endet eigentlich immer mit diesem – demselben – Ausspruch. Doch eben dieser Job hat sich in den vergangenen Wochen rasant gewandelt. So berichtet er etwa mit schusssicherer Weste aus seiner Heimatstadt Odesa oder aus dem 130 Kilometer entfernten Mykolayiv, hinter ihm Alarmsirenen und Explosionen von russischen Streubomben in nur drei Kilometern Entfernung.
Ja, er sei jetzt wohl ein Kriegsreporter, sagt Panashchuk, aber "not by choice", er habe sich das nicht ausgesucht. Kurz nach Kriegsbeginn bittet die Wochenzeitung, für die wir schon einmal gemeinsam berichtet haben, ob er einen Beitrag zur Lage im Land beisteuern würde. Er fragt, ob er auf Russisch schreiben dürfe und wir das dann übersetzen lassen. Es entsteht einer seiner stärksten Texte, die mir bisher bekannt sind. Hochemotional, ja, poetisch fast. Ich ziehe ihn auf: Du Kriegspoet. Er antwortet wieder mit einem "not by choice". Und es ist offensichtlich, dass er diesen Beruf nie haben wollte. Panashchuk lebte zwar seit 2014 in einem Kriegsland, hielt sich aber dennoch von den "heißen Kriegsgebieten" fern, so gut es eben ging, wenn man in Odesa lebt. Als Mitarbeiter für internationale Reporter weiß er trotzdem, wie es ist, plötzlich vor einer gesprengten Brücke zu stehen.
Noch Ende Januar weigert sich Panashchuk, in Popasna Militärsperren zu passieren und es braucht einige Überzeugungsarbeit, ihn überhaupt in die Nähe des damaligen Kriegsgebiets zu bewegen: bis nach Popasna an die letzte Panzersperre vor der sogenannten Kontaktlinie. 2019 hat er eine Berichterstattung aus der „grauen Zone", zu der Popasna zählt, noch gänzlich abgelehnt.
Es wird ein – zugegeben etwas makabrer – Running Gag unserer Reise: Wir behaupten, wir würden jetzt doch in das Gebiet hineinfahren, das er sich zu betreten weigert. Der ernste Kompromiss ist schließlich, in der Nähe von Schützengräben und Minenfeldern nur Routen zu passieren, in denen klar Schneespuren erkenntlich sind. Und ernsthaft lachen kann er über den Radiosender eines der besetzten Gebiete, der selbsterklärten und international nicht anerkannten Volksrepublik Donezk mit dem schönen Namen "Radio Daddy Donezk". Tränen lacht er auf dem Beifahrersitz, wenn die besonders tiefe Männerstimmte den Werbespruch des Radios aufsagt.
Die Gefahr scheint in diesen Momenten zumindest vergessen zu sein. Vielmehr konzentrieren wir uns auf die zahlreichen Schlaglöcher der Straße, auf der wir fahren. Selbst wir als Ausländer lassen uns nach und nach von den Bewohnern der Ostukraine unsere Sorgen vor einem großflächigen Krieg ausreden. Wir werden einmal sogar beschimpft, wir – der Westen – sollten uns doch raushalten. "Würdest du deinen Bruder töten?", meint besagter ukrainische Gesprächspartner wütend; denn die Russen und sie, sie seien Brüder. Das Gespräch findet im Grenzort Wowtschansk statt, der inzwischen von der russischen Armee eingenommen wurde. Doch zu jenem Zeitpunkt zweifeln wir selbst daran, ob wir eventuell einer Hysterie aus der Ferne verfallen seien.
Dann, mit dem großangelegten Angriffskrieg der russischen Armee am 24. Februar, kommt der Krieg zu Panashchuk. Fliegeralarm gehört jetzt zu seinem Alltag. An einem der ersten Kriegsabende verabschiedet er sich sogar schon von uns. „Ich bin nicht sicher, ob wir die Nacht überleben werden“, schreibt er am Abend des 25. Februar; dem zweiten Tag von Putins Angriffskrieg. Es gebe keinen Schutzbunker, den seine Frau und er erreichen könnten. Er schickt uns ein Foto von zwei Bauhelmen, damit versuchen sie, sich zumindest ein bisschen zu schützen.
Inzwischen berichtet Panashchuk mit schusssicherer Weste aus seinem Heimatort und der Nachbarschaft, arbeitet mit internationalen Journalisten sogar dann zusammen, wenn sie noch tiefer ins Kriegsgebiet fahren. Er ist bei einer Liveschalte mit einem britischen Fernsehsender zu sehen; berichtet, dass er zivile Opfer des russischen Angriffskriegs mit eigenen Augen gesehen habe: "Ihre Leichen, das Blut." Drei von ihnen seien vor einem Supermarkt getroffen und getötet worden. "Sie wollten einfach nur Lebensmittel kaufen", kommentiert er.
So ernst er vor der Kamera ist, so viel Raum für Humor bleibt im gemeinsamen Gruppenchat. Zwischen der Angst vor Krieg und Tod bleibt immer noch Raum für Sarkasmus und schwarzen Humor. Es ist dennoch schwer auszuhalten, ihm aus der Ferne bei seinem ungewollten neuen Arbeitsschwerpunkt zuzusehen und zu wissen, dass er vor diesem Krieg nicht einmal weglaufen kann. Als Mann im wehrfähigen Alter darf er sein Heimatland nicht verlassen.
Beitrag veröffentlicht am April 4, 2022
Zuletzt bearbeitet am April 4, 2022
Freie Fotografin seit 2009, freie Journalistin seit 2011, Mitbegründerin von Witness Europe und Report vor Ort.
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