Ortskräfte in Afghanistan: Wenn Rettung Definitionssache ist

Ortskräfte in Afghanistan: Wenn Rettung Definitionssache ist

Beim Ortskräfteverfahren für Afghanistan fallen Dutzende Gefährdete durchs Raster. Wir haben einen Fall dokumentiert.

Das Ortskräfteverfahren soll während der aktuellen Legislaturperiode reformiert werden. So steht es jedenfalls im Koalitionsvertrag der Bundesregierung.

Wie bitter nötig diese Reform wäre, zeigt die aktuelle Situation von Menschen, die zwar bei oder für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet haben, aber nicht direkt bei ihr angestellt waren. Sie sind vom Ortskräfteverfahren ausgeschlossen. Obwohl die Taliban sie als Verbündete des deutschen Militärs betrachten. Trotzdem bietet Deutschland ihnen nun keinen Schutz. Auch das jüngst auf den Weg gebrachte Bundesaufnahmeprogramm schafft nicht für alle Abhilfe, wie ein Beispiel zeigt.

Flucht nach Pakistan

Mohammed S. (Name geändert) ist ins benachbarte Pakistan geflohen, nachdem er mehr als ein Jahr lang von den zuständigen deutschen Behörden keine Rückmeldung erhalten hatte. Auch auf eine Ausnahmeregelung machte er sich keine Hoffnung mehr. Der 41-Jährige hat gleich einen ganzen Stapel Unterlagen, der sein enges Verhältnis zur deutschen Bundeswehr belegt. Das aktuellste Dokument ist seine Zutrittskarte zum Camp Marmal, also dem Feldlager der Bundeswehr in Masar-i-Schariff, deren Gültigkeit Ende 2020 erlosch. Auf der Karte steht groß “unescorted” (unbegleitet) und etwas weiter unten “employee” (Angestellter). S. betrieb in dem Feldlager einen Verkaufsstand, der 2020 aufgrund der Coronaschutzmaßnahmen geschlossen wurde. Auch diesen Brief hat er noch vorliegen. Dazu kommen Rechnungen über die Miete für seinen kleinen Stand, fein säuberlich als Umsatzanteil bis auf die zweite Nachkommastelle berechnet.

Mehr als 15 Jahre lang ging er in dem Feldlager ein und aus, unbegleitet, mit seiner Mitarbeiterkarte, die ihm freien Zugang verschafft hatte. 15 Jahre lang knüpfte er Freundschaften mit den deutschen Soldaten, sie vertrauten ihm und er ihnen. Mit seinen besten Freunden hat er Erinnerungsfotos geschossen, Arm in Arm steht er auf den Bildern mit den Uniformierten da – er selbst in traditionellen afghanischen Gewändern – und zusammen grinsen sie in die jeweilige Kamera. Sorgfältig hat er die Bilder in einer PDF-Datei zusammengestellt: „mybestfriend“ heißt die Datei.

Angestellter ohne Anstellung

S. versteht nicht, wieso die deutsche Regierung einen Unterschied macht zwischen ihm, der viele Jahre lang bei den Deutschen ein- und ausgegangen ist und jemandem, der dasselbe tat, aber eben über einen festen direkten Arbeitsvertrag verfügt hat. Der “employee”-Status von seiner Zugangskarte ist in diesem Moment nämlich nichts mehr wert. Was fehlt, ist ein echter Arbeitsvertrag, ein unmittelbares Beschäftigungsverhältnis. “Den Taliban ist doch ganz egal, ob ich angestellt bin, ob ich einen Vertrag hatte oder nicht. Sie sehen mich als Spion, als Freund des Westens”, betont er. 

Zum Nachhören: Das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan und die vielen Fragezeichen

Mit seinen Kollegen zusammen sei er nach Kabul gefahren, viele Stunden lang, schildert er. Dort hätten sie sich Hilfe von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) erhofft, die für Deutschland die Evakuierungen vor Ort organisierte. Viele Stunden hätten sie auch da nochmals vor dem Büro gewartet und sich schließlich stattdessen online registriert. Bis heute sei keine Antwort gefolgt. Von Nichtregierungsorganisationen in Deutschland, an die sie sich hilfesuchend gewandt hatten hätten sie dann die Bedingungen des Ortskräfteverfahrens kennengelernt und erfahren, dass sie grundsätzlich ausgeschlossen seien. So seien sie nach Pakistan gegangen, wo sie seitdem so unauffällig wie möglich lebten, um nicht in Gefahr zu geraten. Der Hoffnungsschimmer blieb dabei immer das angekündigte humanitäre Aufnahmeprogramm. Das ist nun zwar da, hilft Menschen wie S. aber dennoch nicht weiter. Von diesem ist er nun nämlich ausgeschlossen, weil er sich (bereits) in einem Drittland aufhält.

Schweigen aus dem Auswärtigen Amt

Antragsberechtigt sollen lediglich Afghan*innen sein, die sich in Afghanistan aufhalten, da diese einer konkreten Gefährdung ausgesetzt seien. So heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Die Frage danach, wie das Auswärtige Amt die Sicherheitslage von Afghan*innen in den Nachbarländern einschätze, bleibt unbeantwortet.

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