Zu Besuch bei Mustafa in einer Unterkunft für geflüchtete Menschen in Stuttgart-Wangen.
Freie Fotografin seit 2009, freie Journalistin seit 2011, Mitbegründerin von Witness Europe und Report vor Ort.
„Bier- und Weinstadel“ steht auf dem Torbogen, der Gäste in der Unterkunft für Geflüchtete in Stuttgart-Wangen begrüßt. Auch drinnen stößt man auf die urig abgeschabte Einrichtung an, wie man sie aus Deutschlands nicht unbedingt schönster Zeit kennt: braungetönte Glaslampenschirme, dunkles Holz, noch mehr Brauntöne. Dabei ist das Restaurant, wie das Hotel, zu dem es gehört, gar nicht mehr in Betrieb. Die Möbel sind geblieben, der fragwürdige Charme ebenfalls. Die Restaurantküche aus tristem Edelstahl wird nun von den Bewohnern genutzt, um ihre eigenen kleinen Mahlzeiten zuzubereiten. Im Eingangsbereich empfangen einen Hinweisschilder auf die Toiletten, die ebenfalls hinter braunen Holztüren liegen. Es ist schwer, hier einen ungestörten Ort zu finden, denn in den Gemeinschaftsräumen halten sich tagsüber einige der rund 70 Bewohner des Hotels auf, in der Küche läuft beinahe immer das Wasser oder es klappern Pfannen und Töpfe auf dem Herd. Mustafa begrüßt uns herzlich, irgendwie schafft er es, in der Umgebung, die viel Spielraum lässt, verloren zu wirken, eben das nicht zu tun. Mittags holt er bei der benachbarten Schule die frischen Produkte ab, die vom Essen dort übrig geblieben sind. Es ist ein bisschen so etwas wie Normalität im Tagesablauf genau wie der Deutschkurs, an dem er teilnimmt. Diese geregelten Abläufe helfen dabei, die Zeit zu überbrücken, in der er eigentlich nichts zu tun hat außer zu warten. Darauf, dass seine Familie ein Visum bekommt und nachreisen darf. Im Hinterkopf hat er sie ständig genau wie seine Heimat. Er vermisst Syrien, wie es vor dem Krieg war. „Ich sehne mich nach den Tagen ohne Töten und Blut überall, als wir noch ein Syrien waren.“
Wenn er irgendetwas aus seiner Heimat einfach so haben könnte, dann wäre das blühender Jasmin und Erinnerungen an diese friedliche und freie Version Syriens. „Ich musste Syrien verlassen, weil ich niemanden umbringen wollte“, erklärt uns Mustafa. Der 21-Jährige wäre als Soldat eingezogen worden, wenn er nicht das Land verlassen hätte. So begab er sich mit seinem Vater auf die unsichere Reise Richtung Deutschland, Richtung Sicherheit. Der Weg, den er zurückgelegt hat, führt ihn in einem vollgedrängten wackeligen Boot übers Meer und viele Hundert Kilometer zu Fuß übers Land. Als er dann endlich in Deutschland ankommt, ist das erste Wort, das er in der neuen Sprache lernt, zumindest ein freundliches: „Danke“. Seine Frau und sein Kind warten in der Türkei darauf, dass er sie mit einem Visum nachholt. Dazu muss er zunächst seine dreijährige Aufenthaltserlaubnis bekommen und dann muss der Antrag genehmigt werden: wie viel Zeit das in Anspruch nimmt, wie lange seine kleine Familie getrennt leben muss, ist absolut unklar. In der Zwischenzeit wird er weiter Deutsch lernen und versuchen, seine Zeit irgendwie sinnvoll zu füllen. Optimistisch in die Zukunft blicken kann der junge Mann trotz aller Widrigkeiten. Auf die Frage, wo er sich in fünf Jahren sieht, meint er: „Ich sehe mich mit meiner Familie hier in Deutschland mit einem geregelten Leben und einem abgeschlossenen Studium.“
Beitrag veröffentlicht am Mai 5, 2015
Zuletzt bearbeitet am Mai 5, 2015
Freie Fotografin seit 2009, freie Journalistin seit 2011, Mitbegründerin von Witness Europe und Report vor Ort.
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