Eine Insel verdrängt ihre unliebsamen Toten – auf Kos, Griechenland, wissen nur die Wenigsten von den muslimischen Gräbern. Sie dokumentieren das Sterben von Flüchtenden auf dem Mittelmeer.
Freie Fotografin seit 2009, freie Journalistin seit 2011, Mitbegründerin von Witness Europe und Report vor Ort.
2015 gerieten griechische Inseln in den Fokus, auch aufgrund des Massensterbens im Mittelmeer. Viel hat sich seitdem verändert. Immer noch kommen Flüchtlinge auf Schlauch- und Holzbooten hier an, immer noch ertrinken viele auf dem Weg. Doch auf der Insel selbst gerät dieses Sterben in den Hintergrund. Viele der damals freien Strandflächen zieren inzwischen Holzstege, fest installierte Liege oder sogar Strandbar. Der Tourismus auf der Insel brummt. Geflüchtete begegnen den Tourist:innen kaum noch, jedenfalls nicht in der Stadt. Kos hat sie erfolgreich verdrängt.
Und doch kommen die Menschen an; manche nicht mehr lebendig.
Kos weist viele Friedhöfe auf, die meisten sind christlich-orthodox. Den einen jüdischen Friedhof dagegen müssen die Behörden dagegen meist abriegeln, da Rechtsextreme sich hier immer wieder bemerkbar machen. Eine aktive jüdische Gemeinde zählt zur Vergangenheit der Insel.
Unscheinbar hinter weißen Mauern liegen nicht weit voneinander entfernt zwei muslimische Friedhöfe auf Kos. Der aktuelle Friedhof liegt etwas weiter unten, hier finden üblicherweise Beerdigungen statt, wenn jemand aus der muslimischen Bevölkerung stirbt. Auf dem alten islamischen Friedhof von Kos – laut Schild “mohammedanisch” – werden immer wieder Menschen beerdigt, die zu bereits bestehenden Familiengräbern gehören..
Und dann gibt es hier noch einen Bereich von Grabstätten, der weiter wächst.
Ganz hinten auf dem Friedhof hinter mehreren Reihen historischer Grabsteine, hinter zirpenden Zikaden ragen schlichte Holzgrabmale aus dem Boden. Viele der Gräber sind anonym, nur an einem schlichten Erdhügel oder der Holzmarkierung zu erkennen. Sie liegen so eng beieinander, dass Besucher:innen aufpassen müssen, wohin sie ihren Fuß setzen, wenn sie diese abgelegene Ecke des Friedhofs betreten möchten.
Hier hinten, verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit, liegen diejenigen begraben, die die Reise über das Mittelmeer nicht überlebt haben oder kurz nach Ankunft verstorben sind.
Nur wenige der Gräber des islamischen Friedhofs auf Kos sind mit Grabsteinen versehen, die Inschriften erinnern an Familien aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Hier liegen Eltern mit ihren Kindern begraben, Geschwister nebeneinander, sogar ein Baby.
Und doch bekommen Besucher:innen der Insel von dieser stillen Gedenkstätte nichts mit.
Wie wenig dieser Ort selbst bei den Einheimischen bekannt ist, wird im Gespräch mit einem der Männer deutlich, die hier die Gräber ausheben. Muhammad 1Name geändert kam selbst als Geflüchteter auf die Insel. Zum Zeitpunkt der Begegnung weist er selbst noch keinen Aufenthaltstitel in Griechenland vor. „Ich kann nur hier arbeiten. Hier die Gräber zu schaufeln – das ist eine Arbeit, die man auch unangemeldet machen kann“, erklärt er. Er werde dafür mit Bargeld bezahlt.
Auf die Frage, wie es für ihn ist, hier Menschen, die wie er übers Mittelmeer gekommen sind, beerdigen zu müssen, reagiert er erstaunt. Den hinteren Bereich des islamischen Friedhofs, das heißt: dessen Funktion, habe er bisher noch nicht gekannt.
Beitrag veröffentlicht am Dezember 30, 2023
Zuletzt bearbeitet am Dezember 30, 2023
Freie Fotografin seit 2009, freie Journalistin seit 2011, Mitbegründerin von Witness Europe und Report vor Ort.
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