15 Prozent mehr Lohn – diese Forderung hält Verdi für die Pflegekräfte bei Helios in Niedersachsen für nicht verhandelbar. Nun kommt der erste Warnstreik.
Der Preise steigen und der Frust unter den rund 5000 Beschäftigten der acht Helios-Kliniken in Niedersachen noch mehr: Wieder einmal fühlen sie sich abgespeist, das der Arbeitgeber in der zweiten Runde der Tarifverhandlungen vorgelegt hat:
Für den Standort in Cuxhaven kommen noch weitere Zulagen hinzu. Doch an der Reaktion auf Seiten der Gewerkschaft ändert das gewiss nichts. Das Angebot beinhaltet nur wenig mehr, als in der ersten Runde oder das verfrühte aus dem Vorjahr. Ver.di hatte bereits das strikt abgelehnt (wir berichteten).
In der Zwischenzeit drücken Faktoren wie mehr als 7 Prozent Inflation zusätzlich die Budgets vieler Haushalte. In Bereichen des täglichen Bedarfs liegt die Quote sogar noch deutlich höher, wie aus vorläufigen Daten des statistischen Bundesamts hervorgeht:
Im Bereich Energie
Im Bereich Waren
Im Bereich Nahrungsmittel
Gerade in den oft ländlichen Gegenden Niedersachsens kommt den Treibstoffpreisen eine erheblich Bedeutung zu. 15 Prozent mehr fordert Ver.di daher von Helios in Niedersachsen – und ist auch nach der zweiten Tarifrunde nicht davon abgerückt. Außerdem soll der Arbeitgeber, der im Vorjahr die Dividende für Aktionäre bereits um fünf Prozent auf die Rekordprämie von 88 Cent erhöht hatte, 1500 Euro Coronaprämie (manche Stationen haben bisher erst 300 Euro erhalten), eine Jahressonderzahlung von 100 Prozent des Monatsgehalts und 200 Euro mehr für die Auszubildenden bezahlen. Mit einem Warnstreik an sieben der acht Standorte untermauern die Pflegekräfte pünktlich zum “Internationalen Tag der Pflegenden“ ihren Standpunkt.
Nach dem Applaus zu Pandemiebeginn wollen die Pflegefachkräfte nun sehen, dass ihre Arbeit tatsächlich wertgeschätzt, so das Stimmungsbild. Am Tag vor der zweiten Verhandlungsrunde, Ende April, stimmt die Gewerkschaft die Mitarbeiter:innen deshalb bereits zur aktiven Mittagspause auf den bevorstehenden Arbeitskampf ein. Bei Brötchen und Getränken kommen die Stationen gruppenweise aus dem Gebäude, um das Infektionsrisiko zu minimieren.
Aus dem OP gesellt sich zwischenzeitlich eine fünfköpfige Gruppe dazu. Ein „auf und ab“ seien die vergangenen zwei Jahre gewesen – quasi parallel zu den Infektionswellen. „Die Hauptbelastung lag nicht bei uns“, betont dann Jürgen, auch wenn sie etwa auf der Intensivstation ausgeholfen hätten. Doch ist der Pflegesektor bekanntlich kein mit Rosen gebetteter Weg. „Eigentlich machen wir das alle gern“, betont Leila.
Die soziale Komponente, die Teamarbeit, die Hilfe für Menschen in Not. Nur finanziell fühlen sich die Fachkräfte zunehmend abgehängt – und die bisherigen Angebote des Arbeitgebers würden aktuell einen deutlichen Reallohnverlust bedeuten. „Ich finde das schon gerechtfertigt“, sagt Leila daher zu den Forderungen ihrer Gewerkschaft: „Da wird auch in der Politik immer von gesprochen, aber nichts gemacht.“ Das erste Angebot von vier Mal ein Prozent über zwei Jahre habe sie daher auch als Beleidigung empfunden, sagt Ina.
Dabei waren die bisherigen zwei Pandemiejahre für die Pflegekräfte besonders herausfordernd. “Wir waren die ganze Zeit in Vollmontur mit FFP3-Masken, Schutzbrillen und Visier am Arbeiten. Das war eine große Belastung – auch für die Patienten, die uns nicht sehen und erkennen konnten”, schildert Sabine in ruhigem, sachlichem Tonfall. Ohnehin scheint lautstarke Aufregung hier nicht die Art der Pflegekräfte zu sein. Die Enttäuschung kommt dann vor allem durch die nüchtern vorgetragenen Aussagen zum Ausdruck. “Andere Berufszweige erhalten deutlich höhere Provisionen”, wundert sich Kollegin Sabrina.
Den lautstarken Teil übernimmt dafür Jörn Bracker, Gewerkschaftssekretär bei Ver.di in Niedersachsen. “Wir werden den Laden dichtstreiken, wenn er bei seiner Haltung bleibt”, schwört er die Mitglieder auf einen Arbeitskampf ein. Kurz nach der zweiten Verhandlungsrunde lässt die Gewerkschaft taten folgen und kündigt für den 12. Mai einen Warnstreik an, kurz vor der dritten Tarifrunde.
Eigentlich könne die Tarifkommission gar nicht weniger fordern, sagt Izabela Dierks, Betriebsrätin am Nienburger Helios-Standort. “Manche fahren 50 Kilometer pro Strecke”, nennt sie die Anfahrtswege im ländlichen Raum als Grund. Geld sei da ein entscheidender Anreiz, um nicht zu anderen Einrichtungen zu wechseln; manche davon liegen (wieder) in der öffentlichen Hand. Zumal viele aus Alters- oder familiären Gründen nur in Teilzeit arbeiteten.
Gleichzeitig wäre ein besserer Lohn eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel im Hause entgegenzuwirken. “An manchen Tagen sind wir auch so schon fast im Notfallbetrieb”, sagt sie mit Blick auf die möglichen Einschränkungen bei einem Streik. Dabei profitiere von einem gut funktionierenden Krankenhaus vor allem die Bevölkerung.
Frustriert von dem ersten Angebot zeigt sich auch Markus Hoffner, stellvertretender Stationsleiter auf der Intensivstation im Helios-Krankenhaus in Nienburg:
“In zwei Jahren ist bewusst geworden, wie wichtig die Pflege ist. Jetzt zeigt sich, wie wenig sie wertgeschätzt und gewürdigt wird.”
Stellvertretender Leiter Intensivstation, Helios-Krankenhaus Nienburg
Das sei ein Schlag ins Gesicht. Bei steigenden Aufwandskosten helfe eben kein Applaus mehr. Nach der ersten Runde hatte sich der Helios-Konzern noch zuversichtlich gezeigt, ein für beide Seiten zielführende Ergebnis zu finden. Die Ansichten, was das bedeutet, unterscheiden sich aktuell erheblich.
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