Marie-Kristin Thiele hat mit "From" einen Postershop gegründet, um künstlich generierten Bildern etwas entgegenzusetzen. Die Werke stehen für echte Geschichten.
Freie Fotografin seit 2009, freie Journalistin seit 2011, Mitbegründerin von Witness Europe und Report vor Ort.
Die Idee für einen Postershop kam Marie-Kristin Thiele schon vor mindestens zehn Jahren, sagt sie: „Doch dann bin ich Mama geworden und es sind 5000 andere Sachen passiert.“ An ihrem Wunsch hat Thiele derweil festgehalten und ein mögliches Geschäftsmodell weiterentwickelt. Den ursprünglichen Plan, das Projekt schlicht „Photoshop“ zu nennen, habe sie verwerfen müssen – jemand habe bereits die Domain gekauft. Jetzt jedenfalls hat sie “From” ins Leben gerufen, eine Plattform für echte Bilder, die sie in Form von Posterdrucken verkauft. Ausgesuchte Dokumentarfotos aus bereits bestehenden Serien und aus Archiven soll es zu sehen geben; vor Kurzem ist die erste Reihe erschienen: eine Geschichte aus Syrien.
Mit dem Aufkommen von Künstlicher Intelligenz (KI) und ihrer praktischen Nutzung im Alltag bekam das Thema für sie mehr Gewicht. „Ich habe auch schon Prompts in ChatGPT eingegeben und dann kommt da richtiger Marketingsprech raus. Das ist schon geil, wie schnell das geht, aber gleichzeitig dachte ich auch: ‚Krass, wie einfach das geht‘“, führt sie aus. Ebenso sei es mit KI, die Bilder erschafft. Das habe ihrer Idee eine Art Dringlichkeit gegeben, die diese vorher noch nicht gehabt habe.
Und dann war da dieses Foto, das Amnesty International teilte: eine Frau, inmitten von Polizisten in eine Flagge gehüllt – für ein ungeschultes Auge gab es kaum einen Hinweis, das das Bild KI-generiert sein könnte (Korrektur: Hier war aufgrund eines Missverständnisses zunächst von einem anderen Motiv die Rede.) Für Thiele war das ein Schlüsselmoment. „Das hat mich richtig umgehauen“, sagt sie, „und wurde das auch ein Auslöser, die Idee umzusetzen. Ich wollte schon lange Geschichten erzählen und echte Bilder dazu zeigen, aber da war dann noch klarer: Das muss unkonstruiert sein, Dokumentarfotografie.“ Wahrhaftigkeit sei ihr enorm wichtig. Keine gestellten Szenen, keine künstlich geschaffenen Bilder. „Es muss echt sein, wirklich“, betont sie.
Woran sie festmache, dass die Bilder auch wirklich echt seien? Sie zögert einen Moment: „Ehrlich gesagt habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Wie kann ich kontrollieren, ob das alles auch stimmt?“ Es sei ein gewisses Bauchgefühl, sagt sie dann, ein Gespür für die Menschen: „Dass ich weiß, das ist die Person, die höchstwahrscheinlich auch diese Aufnahmen gemacht hat, eine Sache von menschlichem Vertrauen und dass es nachvollziehbar ist.“
Vielleicht bestehe ihr Kontrollmechanismus auch darin, denkt sie laut, dass es sich bei den Geschichten, die sie zeigen wolle, nicht um die großen Schlagzeilen handle, sondern um kleine Geschichten, die Größeres repräsentierten. „Das ist auch das Schöne an dem, was Johanna und Philip da recherchiert haben: Das ist eine kleine Story, die für so viel mehr steht. Es ist etwas für Liebhaber, für Menschen, die so ein bisschen wachsam und aufmerksam durch die Welt gehen und Dinge bemerken, die vielleicht erst einmal klein wirken, aber am Ende eigentlich voll den Impact haben und so stellvertretend für ganz viel stehen können.“ Und ebendas sei vielleicht auch ein Stück weit Sicherheit dafür, dass es sich um echte Geschichten handle und doch: „Ich habe keinen doppelten Boden, was Kontrolle angeht.“
Mit Johanna meint sie Johanna-Maria Fritz, Fotografin mit Sitz in Berlin und im mittleren Osten. Johanna-Maria Fritz konzentriert sich in ihrer fotografischen Arbeit auf vergessene Gruppen, Frauen und Konfliktherde. Fotografie studiert hat sie in Berlin und wurde unter anderem bereits mit dem Friedenspreis der Fotografie ausgezeichnet. Die Geschichte, aus der “From” nun ausgewählte Arbeiten zeigt, hat sie in Nordsyrien, genauer in Raqqa, gefunden. Es sind ruhige Bilder, die den Künstler Jumua al-Hamu zeigen und zusammen mit einem Artikel des Journalisten Philip Mahlzahn in der NZZ ursprünglich veröffentlicht wurden. Al-Hamu vergrub seine künstlerischen Werke in seinem Garten, weil unter IS-Herrschaft Kunst aller Art verboten war. Nachdem die Extremisten besiegt waren, machte er sich daran, die Statuen wieder auszugraben, Stück für Stück erblickten sie wieder das Tageslicht.
Ob es für Thiele für die Wahrhaftigkeit einen persönlichen Bezug braucht? „Ich glaube schon“, sagt sie, „Menschen, denen ich wiederum vertraue, erzählen oder zeigen mir aus ihrer Perspektive etwas. Klar, dadurch wird das auf eine Art und Weise wahr.“ Natürlich handle es sich dabei um eine subjektive Wahrheit. Aber die sei ihr wichtig und eben auch, dass es sich um Dokumentarfotografie handle und keine gestellten, inszenierten oder gar KI-gestützten Bilder.
„FROM“, der Name sei Programm: „In Berlin wollte ich jemanden, der hier auch verortet ist. Johanna kannte ich vorher nicht, ich habe sie sozusagen ganz frisch recherchiert.“ Als Start für ihr Projekt sei die Hauptstadt naheliegend gewesen, da sie hier auch selbst ihr Netzwerk habe. Auch in Zukunft solle dieser Lokalbezug beibehalten werden: „Es sollen ja dann noch mehr Autor:innen dazu kommen und ich möchte mit ihnen immer erst in ihrer Heimatstadt den Auftakt machen, eine Veranstaltung.“
Beitrag veröffentlicht am Dezember 6, 2023
Zuletzt bearbeitet am Dezember 6, 2023
Freie Fotografin seit 2009, freie Journalistin seit 2011, Mitbegründerin von Witness Europe und Report vor Ort.
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