Die Republik blickt wieder einmal verwundert auf "den Osten" und die Montagsproteste. In Bautzen und anderen Städten grenzt sich die Mehrheitsgesellschaft nun ab und setzt eigene Zeichen.
Die Mehrheit begehrt auf. Während am Montag einmal mehr Gegner:innen der Corona-Politik gemeinsam mit Rechtsextremen in der Bautzener Innenstadt aufmarschiert sind, war auf den Straßen keine Spur von Gegenprotest. Der hat sich nun auf anderem Wege formiert: im Internet.
Die sächsische Corona-Notfallverordnung verbietet derzeit Versammlungen mit mehr als zehn Teilnehmer:innen. Für Befürworter:innen der Coronaregeln und Gegner:innen der Montagsaufmärsche bedeutet das ein Dilemma: Sie können ihre Position nicht auf der Straße zum Ausdruck bringen, ohne gegen die aktuellen Auflagen zu verstoßen.
Tim Döke und Christian Tiede sind zwei Mitinitiatoren der „Bautzener Erklärung“ mit inzwischen mehr als 10.000 Unterschriften. „Wir wollen es nicht weiter hinnehmen, dass die Protestler die Krise durch Egoismus befeuern“, steht etwa in der Erklärung; mehr als 1000 Menschen sind allein im Landkreis in Zusammenhang mit dem Virus gestorben. Die illegalen Demonstrationen sollten seitens Politik und Polizei nicht länger geduldet werden. Die Unterzeichner:innen fordern daher, dass ihre Stadt nicht länger von Rechtextremen als Plattform für Krawall und Spaltung genutzt wird:
Wir können es nicht zulassen, dass diese kleine, viel zu laute Gruppe noch lauter wird. Bautzen ist und soll auch fortan kein Aufmarschplatz der Rechtsextremen und Coronaleugner sein.
Döke, Verwaltungsmitarbeiter und ehrenamtlich im Bautzener Kreissportbund aktiv, stellt mit Blick auf die Proteste klar: „Sie decken nicht die breite Masse der Stadtgesellschaft ab.“ Die sei vielleicht bisher zu leise gewesen, zeige nun aber Gesicht und setze ein anderes, positives Zeichen.
Für Tiede, Dompfarrer der St.-Petri-Gemeinde in Bautzen, sei es kürzlich selbst ein Schockerlebnis gewesen, wie er erzählt. Nach einem Pressegespräch auf dem Friedhof sei er auf dem Rückweg in die Demo hineingeraten. „Ich kam nicht durch die Stadt, das war ziemlich frustrierend“, erzählt er. Dass eine laute, radikale Minderheit Montag für Montag das Stadtzentrum besetze, es für die Breite nicht mehr begehbar sei – da sei für viele nun das Fass übergelaufen.
Als gespalten würde Tiede Bautzen derweil nicht beschreiben. Selbst Impfskeptiker:innen, Frustrierte und Betroffene sehe er nicht auf der anderen Seite des Grabens. Er spricht mehr von einer Lähmung, die mit der Bautzener Erklärung nun für einige überwunden werde. „Die Bilder erzeugen Ratlosigkeit und Angst“, beschreibt der Dompfarrer. Das habe die Stadt aufgewühlt. Zumal es eben in den vergangenen Jahren immer wieder Anläufe gegeben habe, die Stadt mit Verschwörungserzählungen zu vereinnahmen. „Das sind Leute mit Mission, Organisationsgeschichte und Geld“, gibt er zu bedenken.
So sei es in der Vergangenheit immer wieder zu lautstarken Aktionen gekommen und entsprechendem medialen Echo. „Das bringt Unruhe, selbst wenn es eine kleine Gruppe ist und die Leute von außerhalb kommen“, beschreibt Tiede die Problematik. Dem etwas entgegenzusetzen, eine positive Erzählung zu finden, brauche Zeit und Sendungsbewusstsein.
Mit der Petition ist offenbar genau das gelungen: Nach 5000 Unterschriften habe er einen Anruf der Plattform erhalten und erfahren, dass 80 Prozent der Unterzeichner:innen aus Bautzen kämen, 15 weitere Prozent aus Sachsen. Das Bündnis habe damit ein funktionierendes Netzwerk über parteipolitische und gesellschaftliche Gruppierungen hinweg bewiesen, freut er sich.
Klar: Themen wie Corona und Impfung führten wie in vielen Familien- und Freundeskreisen zu Diskussionen; in Bautzen wie in der gesamten Republik. Insgesamt spricht Döke in seiner Stadt jedoch von einem sehr friedlichen Miteinander. „Ich denke an eine zweisprachige Stadt – mit deutsch und sorbisch -, an eine tolle Kultur, eine wunderschöne Altstadt“, führt er aus. Engagierte Bürger:innen in Sport und Kultur prägten die Stadtgesellschaft und wollten diese gestalten. Das mache Bautzen durchaus liebens- und lebenswert.
Auch Tiede spricht von einer großen Vielfalt. Vor allem die Zweisprachigkeit und die Lage am Dreiländereck verschafften der 40.000-Einwohner-Stadt Bautzen ein Alleinstellungsmerkmal. „Die Kulturszene und -landschaft ist für so eine Stadt einmalig“, sagt er. Drei Theaterspielstätten, darunter das Deutsch-Sorbisches Volkstheater/Němsko-Serbske ludowe dźiwadło), seien für die Größe der Stadt ebenfalls herausragend.
Beitrag veröffentlicht am Dezember 17, 2021
Zuletzt bearbeitet am Dezember 17, 2021
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