Deutschland kann Willkommenskultur – allerdings nicht für eine kleine Minderheit. Derzeit gilt ein Ausreisestopp für gefährdete Menschen in beziehungsweise aus Afghanistan, die von Deutschland eine Aufnahmezusage erhalten haben.
Ich habe das mit diesem Wohlwollen geübt, geübt und geübt. Ernsthaft.
Ja, Deutschland, du kannst Willkommenskultur, wenn du nur willst. Wir haben ein Problem mit bezahlbarem Wohnraum – oder eben ein Problem damit, dass es davon zu wenig gibt. Wir haben eine Klimakrise, steigende Lebensmittel- und Energiepreise sowie einen Krieg in Europa, der alle auf Trab hält.
Und dennoch haben wir allein im Jahr 2022 eine Million Menschen aus diesem Kriegsland – der Ukraine – allein in Deutschland aufgenommen. Gut so! Wir schaffen das, könnte man sagen, liebes Deutschland.
Und doch lässt du Menschen im Stich, denen du konkret Hilfe zugesagt hast. Ganz aktuell ganz konkret.
Ich kann nachvollziehen, dass neue Situationen schwierig sind, und ja, ich habe auch Verständnis dafür, dass es überfordern kann, Menschen zu helfen.
Komischerweise oder glücklicherweise las ich nirgends von einer Flüchtlingskrise oder einer Flüchtlingswelle, die uns überschwemmt hat, als eine Million Ukrainer*innen 2022 zu uns kamen – anders als 2015, als es nur halb so viele Menschen waren.
Und jetzt?
Sind uns die Menschen schon wieder zu viel; sie überfordern uns.
Aber nein, nicht DIESE Menschen.
Die eine Million; wir schaffen das.
Was wir kaum schaffen, das sind die “irregulär” Flüchtenden über die Balkanroute, die kein Viertel der Zahl der Ukrainer*innen ausmachen.
Und wer ganz gezielt gegen die Ukrainer*innen aufgerechnet wird, das ist eine der kleinsten Gruppen von allen: Afghan*innen, denen Deutschland humanitäre Aufnahmeprogramme zugesagt hat; eines für ehemalige Mitarbeiter*innen deutscher Behörden in Afghanistan (das seit 2013 mehr schlecht als recht läuft) und eines für andere hochgefährdete Menschen, das beinahe gekippt worden wäre, weil ja bereits so viele Menschen aus der Ukraine aufgenommen werden mussten. Letztlich wurde es dann beschlossen, aber auch deutlich gedeckelt; maximal 1000 Personen im Monat. Dabei wird in der Kommunikation gern mit allen Gefährdeten zusammengenommen gerechnet – so dass sich die Frage stellt, wozu es überhaupt unterschiedliche Aufnahmeprogramme gibt, wenn am Ende doch alle “in einen Topf” geworfen werden.
Ob es einfach nur besonders kompliziert sein soll?
Es gibt Menschen, die fallen dabei irgendwie durchs Raster, obwohl sie nachweislich gefährdet sind.
Darunter Menschen, die laut reformbedürftigem – im Koalitionsvertrag ist diese Reform drin – Ortskräfteverfahren keine Ortskräfte sind, obwohl sie mit und für deutsche Behörden gearbeitet haben. Blöd halt, wenn man den Vertrag mit einem Subunternehmen hat oder scheinselbstständig war. Oder Menschen, die kategorisch ausgeschlossen werden, weil sie für die Polizei gearbeitet haben oder als Soldat und nicht gleichzeitig Ortskraft waren. … aber das ist eine andere Geschichte.
Was wir also nicht schaffen, das sind maximal 1000 Personen im Monat aus Afghanistan.
Und aktuell sind es exakt… 0 Menschen im Monat.
Es gibt nämlich einen Ausreisestopp.
Heißt: Botschaftstermine wurden abgesagt, Flüge gestrichen, selbst eigentlich ausgestellte Visa nicht ausgehändigt.
Zwei bis drei Monate soll das jetzt dauern. Menschen, die seit Monaten bangen, endlich Sicherheit in greifbarer Nähe sahen, werden nun gebeten, doch in Afghanistan zu warten, auf „Anweisung“ zu warten, wenn klar ist, wie es weitergeht.
Es geht um Menschen, denen Deutschland bereits eine Aufnahmezusage erteilt hat.
Das heißt: Menschen, deren Gefährdung Deutschland höchstoffiziell anerkennt, sagt dasselbe Deutschland, dass sie jetzt doch bitte in dem Land, in dem sie anerkanntermaßen gefährdet sind, nochmal zwei bis drei Monate warten sollen, nachdem sie sich mit Passbeschaffung, Visumantrag für Drittland und zumeist auch dem Verkauf von Haus, Hab und Gut „geoutet“ und zusätzlich gefährdet haben.
Und der Grund dafür?
Der Verdacht auf Missbrauchsversuche.
Missbrauchsversuche, die aufgedeckt wurden, bevor die besagten Personen ausgereist sind.
Laut epd zählt dazu, dass jemand versucht hat, seine Nichte als seine Tochter auszugeben, um sie mit nach Deutschland zu nehmen. Wirklich fatal! Gefährlich für Deutschland, dass jemand eine junge Frau rettet, die er als Nichte nicht mitnehmen dürfte, weil die Nichte eben nicht zur Kernfamilie gehört, die man mitnehmen kann…
Ausnahmen mit erweitertem Familienkreis werden sehr selten gemacht und da ist es schon besonders, wenn die eigene, erwachsene, unverheiratete Tochter ausreisen darf.
Es geht also nicht etwa um Gefährder, Kriminelle oder Gründe, die Deutschland tatsächlich gefährden oder überfordern könnten.
Dass wir Flüchtlinge aufnehmen können, haben wir 2022 bewiesen; mit dieser einen Million.
Da wäre es doch gelacht, wenn wir jetzt an 1000 Menschen im Monat scheitern, die angekündigt, geplant, geregelt, regulär einreisen?
Für alles andere fehlt mir trotz allem Verstehenwollen das Verständnis.
Und für alles Weitere fehlen mir inzwischen auch die Worte.
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