Zeitenwende in Ostdeutschland: Die Luftwaffe rüstet auf

Das Sondervemögen investiert die Bundeswehr unter anderem in drei große Rüstungsprojekte, die sie in Rekordtempo umsetzt. Der Fliegerhorst Schönewalde/Holzdorf steht im Zentrum der Zeitenwende.

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Die Turbinen des Transportflugzeug A400M laufen noch, da saust das LL UTV hinter der Laderampe hervor. In hohem Tempo fährt das Leichte Luftlandefähige Utility Terrain Vehicle über den Landeplatz und lädt Kisten ab. Parallel machen sich Scharfschützen auf den Weg, um das Gelände zu sichern. Wenige Sekunden später hält der Buggy einige Meter vor dem Flugzeug und die Besatzung setzt ein Stand-Maschinengewehr zusammen.

Ein Militärhubschrauber auf einer Landebahn. Ein Soldat gestikuliert, ein anderer sitzt an der offenen Seitentür. Der Himmel ist teilweise bewölkt und im Hintergrund ist eine Baumreihe zu sehen.

Parallel zum A400M landet zuerst ein Hubschrauber des Typs H145M. Die Crew legt die Tankleitung, unter jede Verbindungsstelle platzieren sie sauber eine Öl-Auffangplatte. Kaum ist das Endstück angeschlossen, startet die Betankung. Anschließend landet ein Transporthubschrauber vom Typ CH-47 und erhält ebenfalls Treibstoff-Nachschub.

Zukunftsweisende Übung mit dem CH-47

Was die Bundeswehr-Einheiten im Frühjahr 2024 auf dem Fliegerhorst Schönewalde/Holzdorf zeigen, ist eine Übung für den Ernstfall. Doch dieses Mal arbeiten sie nicht nur unter den Augen hochrangiger Militärs und Politiker wie dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke. Mit dem „Chinook“ CH-47 betanken sie erstmals den Hubschrauber, den die Luftwaffe in Zukunft selbst nutzen wird. Aktuell stehen in den Hangars noch auf die älteren Modelle CH-53G. Eine Einheit aus den Niederlanden, die das Modell bereits einsetzt, ist für die Übung an die brandenburgisch-sachsen-anhaltische Grenze gekommen.

Für die Truppe ist diese Umstellung ein Mammut-Projekt im Zuge der ausgerufenen Zeitenwende. Für drei Vorhaben wurden angesichts der herausragenden Bedeutung eigene Beauftragte installiert. Für die CH-47F ist Oberst i.G. Christian Guntsch zuständig. „Mit der CH-47 erhält die Bundeswehr einen der modernsten schweren Transporthubschrauber, den es momentan weltweit gibt“, weiß er um die Bedeutung, von der die Luftwaffe in vielerlei Hinsicht profitiere. Als wesentliche Vorteile nennt Guntsch:

  • Sie nehmen fast die doppelte Zuladung auf,
  • fliegen schneller, höher und weiter und
  • sind geeignet für „Combat Search & Rescue“ (bewaffnete Such- und Rettungsaktionen), womit eine Fähigkeitslücke bei der Luftwaffe geschlossen wird.

Die Transporthubschrauber im Vergleich

EigenschaftCH-47CH-53
Dauerleistung2x 4,777 PS2 × 4.330 PS
Höchstgeschwindigkeit302 km/h295 km/h
Marschgeschwindigkeit291 km/h215 km/h
Einsatzradius370 km175 km
Max. Flughöhe6096 mcirca 2.750 m
Passagiere Bis zu 55 Personenbis zu 36 Personen
Zuladung (innen)10.886 kg6000 kg

Durch die weltweite Verbreitung des CH-47 mit bereits 21 Nutzernationen, darunter dann neun NATO-Staaten inklusive Deutschlands, greife die Bundeswehr auf ein bewährtes Modell zurück. Auch Anpassungswünsche wie Absturzsicherungen für das technische Personal seien bei dem neuen Chinook ebenso wie eine Vielzahl von Missionsausstattungen möglich gewesen. „Das ist eine erhebliche Leistungssteigerung“, bilanziert Guntsch.

Die Bundeswehr hat insgesamt 60 Chinooks für rund sieben Milliarden Euro bestellt, die zwischen 2027 und 2032 ausgeliefert werden sollen. 47 davon werden in Holzdorf stationiert, zwölf in Laupheim (zudem zehn weitere Leichte Kampfhubschrauber H145M, dann insgesamt 25 am Standort) und einer geht an die Wehrtechnische Dienststelle 61 in Manching für Erprobungszwecke. In diesem Zuge wird der Stab des Hubschraubergeschwaders 64 von Laupheim nach Holzdorf verlegt.

Pilotenausbildung in den USA

Die ersten beiden Piloten der Luftwaffe haben nach 14 Wochen Ausbildung im Juli 2024 bereits ihre Musterberechtigung in den USA erhalten, wie die Bundeswehr mitteilt. Sie qualifizieren sich nun zu Fluglehrern, um künftig auch in Deutschland neue Piloten am CH-47F auszubilden.

Das erste Vergabeverfahren noch unter dem Direct Commercial Sales (DCS)-Ansatz hatte das Verteidigungsministerium noch Ende 2020 gestoppt. Damit blieb ein Nachfolger für den CH-53 lange unklar. Auch Boeing hatte damals ein Angebot für den CH-47F abgegeben, damals wurde aber offenbar das Preis-Leistungs-Verhältnis für die Anforderungen als nicht hinreichend erachtet, ebenso wie bei den Konkurrenzangeboten. Das berichtete der Bundeswehrverband. Deshalb plante das Bundesverteidigungsministerium zunächst eine „Neubetrachtung des Projekt“ und schrieb es später als Foreign Military Sales (FMS)-Projekt neu aus.

Doch nicht nur deshalb kommt dem ostdeutschen Militärflughafen eine bedeutende Rolle zu. Einst der modernste Flugplatz der DDR und seit der Wiedervereinigung von der Bundeswehr genutzt, wird er auch für die Flugkörperabwehr gerüstet. Als erster Standort erhält der Fliegerhorst Holzdorf das Waffensystem Arrow; zwei weitere noch nicht genannte Standorte sollen folgen. Mit einer Reichweite von mehr als 2000 Kilometern und einer Abfanghöhe von mehr als 100 Kilometern zählt der Lenkflugkörper Arrow 3 zu den fortschrittlichsten bodengebundenen Flugabwehrwaffen. Bislang verfügen lediglich die USA und Israel über vergleichbare Fähigkeiten in diesem Bereich.

Arrow bewährt sich in Israel

Im Einsatz hat sich das System bereits bewährt, jüngst etwa bei den Angriffen auf Israel aus Iran und Jemen. „Hier konnte man sehen, wie gut eine integrierte Luftverteidigung wirkt“, sagt Major Thomas Finkeldey. Er ist stellvertretender Beauftragter für die Projekte der bodengebundenen Luftverteidigung, einem weiteren Großprojekt im Zuge der Zeitenwende. Die Kosten für die drei Arrow-Systeme, deren Wirkungsbereich sich über das gesamte Bundesgebiet und darüber hinaus erstreckt, veranschlagt die Bundeswehr mit vier Milliarden Euro.

Der Lenkflugkörper stellt sich dem anfliegenden Gefechtskopf in den Weg und zerstört diesen durch die kinetische Aufprallenergie. Er wirkt ohne eigene Explosivmasse.

Damit ergänzt Arrow bestehende Systeme wie Patriot, Skyranger und Iris-T SL und schließt nach Auskunft der Bundeswehr eine Fähigkeitslücke, womit Deutschland künftig eine territoriale Flugkörperabwehr möglich sei. Finkeldey spricht von einer durchgehenden Wirkkette „vom Matsch bis in den Weltraum“. Die Anfangsbefähigung ist für 2025 vorgesehen, die operationelle Einsatzfähigkeit bis zum Jahr 2023.

Auf dem Weg zur territorialen Flugkörperabwehr

Kritiker:innen des Projekts hatten mit Blick auf den Wirkungsbereich von Arrow 3 bemängelt, dass sich damit keine russischen Kurz- und Mittelstreckenraketen abwehren ließen. Denn die fliegen nicht außerhalb der Erdatmosphäre. Allerdings richte sich die territoriale Flugkörperabwehr nicht explizit gegen Russland, betont Major Finkeldey. Die Bundeswehr sei hier fähigkeits- und nicht bedrohungsorientiert vorgegangen; sie verfolge einen „360-Grad-Ansatz“ für einen vollumfänglichen Schutz Deutschlands und der Bevölkerung. „Wir haben ein sich rasant veränderndes Bedrohungsumfeld“, beobachtet Finkeldey.

Wer hätte 2021 noch gedacht, dass Russland die Ukraine mit Lang- und Mittelstreckenraketen sowie iranischen Shahed-Drohnen beschießen würde? Dass der Iran in einer direkten Konfrontation mit Israel unter anderem ballistische Raketen des Typs Kheibar Shekan (Flughöhe: 135 Kilometer) abfeuern würde?

Deshalb ist es den Vertreter:innen der Luftwaffe auch wichtig, Rüstungsprojekte wie Arrow nicht isoliert zu betrachten. Finkeldey führt aus:

Luftverteidigung ist eine komplexe Angelegenheit. Hierzu zählt nicht nur die bodengebundene Luftverteidigung, sondern auch die luftgestützten Kräfte sowie ein Aufklärungs-, Führungs- und Kommunikationsverbund.

Auch wenn sich die Zeitenwende nicht konkret gegen Russland richten soll, hat der umfassende Angriff auf die Ukraine offenkundig ein neues Bedrohungsbewusstsein in Politik und Streitkräften bewirkt. Ähnlich wie bei den „Chinook“ war die territoriale Flugkörperabwehr bereits lange geplant, erstmals taucht sie im Weißbuch zur Sicherheitspolitik von 2016 auf – zwei Jahre nach den ersten Kriegshandlungen in der Ukraine. 2018 wurde sie zur Dauereinsatzaufgabe erklärt. Zunächst sollten ein Führungs- und Aufklärungsverbund aufgebaut werden. Einsatzfähige Lenkflugkörper waren für Mitte der 2030er Jahre geplant.

Aufrüstung im Rekordtempo

So lange Planungs- und Einführungsprozesse will sich die Bundeswehr offenkundig nicht mehr leisten. „Ich arbeite seit mehr als 30 Jahren in der Luftverteidigung. Eine derartige Dynamik und Entwicklung habe ich in dieser Zeit noch nicht erlebt“, sagt auch Major Finkeldey über das neue Handlungstempo.

Eine Zeitenwende steht durch die großen Projekte zudem für die Standorte selbst an. Allein in Holzdorf/Schönewalde steht ein Aufwuchs der militärischen und zivilen Dienstposten bevor: von aktuell rund 1800 auf 3000. Der Ausbau des Militärflughafens wird nach aktuellen Planungen etwa 600 Millionen Euro kosten. Rund um den Fliegerhorst wird sich außerdem entsprechende Industrie ansiedeln – mit weiteren Mitarbeiter:innen, die dann auch in die Region ziehen. Die gesamte Infrastruktur wird sich dem anpassen müssen. Eine eigens gegründete Task Force soll sich darum kümmern, dass das genauso gelingt wie die Einführung der neuen System in den Streitkräften.

Beitrag veröffentlicht am Oktober 24, 2024

Zuletzt bearbeitet am Oktober 24, 2024

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