Nachhaltigkeit auf der Schiene: Alstom hat mit der Rekordfahrt seines Wasserstoffzugs ein Zeichen gesetzt. Bald soll das Modell flächendeckend zum Einsatz kommen. Doch es gibt noch Haken.
Die Messlatte ist gesetzt. 1175 Kilometer mit einer Tankladung hat ein Wasserstoffzug am Donnerstag von Bremervörde bis an die deutsch-österreichische Grenze und dann nach München zurückgelegt. Es war das erste Mal, dass ein Schienenfahrzeug mit dieser Antriebstechnologie unter Realbedingungen eine solche Distanz fuhr.
Ein 260 Kilogramm-Tank und die Brennstoffzellen reichen aus, um den Zug anzutreiben. Als weltweit erstes Modell dieser Art hat Alstom1Offenlegung: Der Autor hält eine geringe Anzahl Alstom-Aktien. Das hatte keinen Einfluss auf die Berichterstattung. mit dem „Coradia iLint“ den Betrieb mit Passagieren aufgenommen. Auf der rund 130 Kilometer langen Strecke von Cuxhaven nach Buxtehude soll er in den kommenden Jahrzehnten pendeln. Der Distanzsprint diente nun als Demonstration, nachdem jüngst andere Hersteller wie Siemens mit ihren Wasserstoffzügen in die Vorserienphase eingestiegen sind.
Die hat Alstom bereits hinter sich und auf verschiedenen Strecken mehr als 200.000 Kilometer zu Testzwecken zurückgelegt, erklärt Andreas Frixen. Der Produktdirektor für grüne Schienenlösungen misst der Eisenbahn einen wesentlichen Vorteil als Pionier für Brennstoffzellen-Technologie bei: Bei der Zugbeschaffung gehe es „um einen langen Zeitraum, das ist planbar – und gut, um zu starten.“ Damit lohnten sich auch hohe Investitionskosten. Deutschland nehme bei der Erprobung von Wasserstoff als Antrieb eine Vorreiterrolle ein, Investitionsprogramme wie Nationale Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) des Bundesverkehrsministeriums seien ein „gutes Tool, um die Verbreitung zu fördern“.
Nach einer langfristigen Investition suchte im Jahr 2012 die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) als Aufgabenträgerin und Tochterunternehmen des Landes, die den Stein für die Zugentwicklung ins Rollen brachte und auf die Industrie zuging. „Ist Diesel noch die Zukunft?“, erinnert sich Thomas Nawrocki, Bereichsleiter für Fahrzeugmanagement, an die damalige Fragestellung mit Blick auf Umwelt, Wirtschaftlichkeit und Energieressourcen.
In seiner Branche werde mit Zeiträumen von rund 30 Jahren geplant. Auf frequentierten Strecken sei die Elektrifizierung am effizientesten, der Ausbau mit bis zu zwei Millionen Euro pro Kilometer und Gleis auf nicht elektrifizierten Nebenstrecken wie Cuxhaven-Buxtehude jedoch nicht tragbar. „Es war klar: Es braucht Alternativen“, fasst er zusammen.
In Niedersachsen sind rund 60 Prozent des Schienennetzes elektrifiziert.
Von der Idee zum fertigen Produkt sind fast nun fast zehn Jahre vergangen. Auf 93 Millionen Euro beziffert Alstom das Projektvolumen für die 14 Wasserstoffzüge, die bis zum Frühjahr 2023 den Betrieb aufnehmen sollen. Nawrocki gibt sich zuversichtlich:
Von der Idee zum fertigen Produkt sind fast nun fast zehn Jahre vergangen. Auf 93 Millionen Euro beziffert Alstom das Projektvolumen für die 14 Wasserstoffzüge, die bis zum Frühjahr 2023 den Betrieb aufnehmen sollen. Nawrocki gibt sich zuversichtlich:
„Wir gehen davon aus, dass die Wasserstoffzüge in den 30 Jahren wesentlich wirtschaftlicher sind als Dieselfahrzeuge.“
Für die Betankung hat Alstom nach eigenen Angaben über einen Projektpartner die größte Wasserstoff-Tankstelle der Welt mitgeliefert. Als sogenannter grauer Wasserstoff kommt der Treibstoff derzeit aus Abfällen der Chemieindustrie in Stade. „Wir wollen eine Elektrolyse-Anlage für eigenen, grünen Wasserstoff mit Photovoltaik und Windkraft bauen“, sagt Nawrocki über die weiteren Pläne. Dann wären die Züge emissionsfrei unterwegs, aktuell werden nur auf der Strecke 1,6 Millionen Liter Diesel pro Jahr verbrannt. Die CO2-Bilanz verbessere sich bereits mit dem grauen Wasserstoff.
Ganz reibungslos ist der Start in Bremervörde indes nicht verlaufen. Der zuständige TÜV Süd erteilte eine beschränkte Zulassung, wie die LNVG auf Anfrage bestätigt: Fällt der Druck der Tankbehälter unter 100 bar, dürfen die Züge an der Wasserstoff-Tankstelle in Bremervörde wegen Sicherheitsbedenken der Prüfer nicht betankt werden. Das Tankverbot liege am komplexen Vorgang im Zusammenspiel Druck, Ausdehnung und Zusammenpressen in Verbindung mit der Wärmeentwicklung, wie ein LNVG-Sprecher ausführt. Durch diese Anforderung verlieren die Züge rechnerisch eine Reichweite von 350 Kilometer. Für die Tankstelle in Salzgitter gilt diese Beschränkung indes nicht. Sind die Tanks zu leer, können sie dort aufgefüllt werden. Messungen bei Probebetankungen in Bremervörde stimmten die Betreiber jedoch zuversichtlich, die Genehmigungen zu erhalten. „Wir rechnen mit Jahresende“, sagt ein LNVG-Sprecher. Auf den Betrieb im Personenverkehr hat das keinen unmittelbaren Einfluss.
Beim Alstom-Team ist die Anspannung für die Rekordfahrt spürbar. Nicht nur wegen der öffentlichen Aufmerksamkeit – auch an den eigenen Firmenstandorten weltweit zeigt der Konzern den Livestream auf den Bildschirmen . „Das ist immer noch ein Gänsehautgefühl“, sagt Produktdirektor Frixen, als bereits mehrere hundert Kilometer zurückgelegt sind. Doch auch er denkt bereits weiter, spricht vom eigenen Engagement als Startschuss für mehr.
Schließlich könnten an der Tankstelle auch Busse, Kommunalfahrzeuge oder Privatautos tanken – doch habe die Tankstelle die Förderung nur für Schienenfahrzeuge bekommen, führt Sprecher Jens Sprotte aus. „Energie und Verkehr sind noch nicht gekoppelt“, wundert er sich, dabei könne der Zug als Brückenkopf dienen, um hier eine Transformation einzuleiten. In Bremervörde hätten sich derweil Gruppen aus 40 Ländern einen Eindruck von dem Projekt verschafft.
Wofür also Akku-Antriebe, wenn Wasserstoff so vielversprechend scheint? „Es gibt für beides Anwendungsbereiche“, sagt Stefan Schrank, der die Vorserienzüge als Projektleiter begleitet hat und seine Kolleg:innen weiterhin berät. Auf der Schiene könne sich die Batterie etwa auf kurzen Strecken bewähren, ebenso wie bei Autos. Im Falle des Wasserstoffzuges sei die Herausforderung gewesen, Schienenfahrzeug- und Brennstoffzellen-Technologie zu kombinieren. Das Ziel sei jedoch stets, Mobilität emissionsfrei zu gestalten.
Der Wasserstoffzug dürfte vom Werk in Salzgitter aus, mitentwickelt und -gebaut in Werken in Frankreich und Polen, bald auch über Bremervörde hinaus auf den Schienen unterwegs sein. 27 Stück sind bereits für den Nahverkehr im Raum Frankfurt bestellt, nach Italien wird er ebenfalls bald ausgeliefert. „Das ist skalierbar“, freut sich Produktdirektor Frixen. Entscheidend sei die Infrastruktur; dass mit einer Tankladung mehr als 1000 Kilometer Reichweite möglich sind, hat Alstom nun gezeigt. Nur zurück muss der Zug geschleppt werden – in Bayern gibt es keine Wasserstofftankstelle und eine mobile wäre den Alstom-Vertretern ein zu hoher bürokratischer Aufwand gewesen.
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