Die Sache mit den Waffenlieferungen für die Ukraine

Die Sache mit den Waffenlieferungen für die Ukraine

Frieden schaffen ohne Waffen – ein im Grunde richtiges Anliegen gerät durch Putins Angriffskrieg in der Ukraine ins Wanken. Lena reflektiert ihre Haltung zu Waffenlieferungen.

Ich war Pazifistin. Überzeugt – und ordne mich weiterhin der Friedensbewegung zu. Die erste Großdemo, auf die ich eigenständig ging, war jene gegen den Einsatz im Irak. Ich weiß noch, wie ich Angst hatte, als ich die Flugzeuge sah, die ins World Trade Center flogen. Was würde die Folge sein? Welche Rachefeldzüge würden deshalb geführt werden? 

Kharkiv: Eine Statue
Den “Befreier” mit hochgereckter Waffe habe ich im Januar in Charkiw fotografiert. Er erinnert an die Befreiung von den Nazis.

Doch damit nicht genug: Mit meinen damals 13 Jahren hatte ich eine klare Meinung.

“Soldaten sind Mörder” trug ich als Button, als Aufnäher und, ja, dieser Ausspruch, den ich stolz herumtrug, hat mich eine Freundschaft gekostet – und zwar nicht irgendeine, sondern meine beste. Meine engste Schulfreundin, mit der ich als Teenagerin in die Klinik fuhr, wenn sie dort für eine längere Zeit zum Check-up und in Behandlung musste, mich abends noch mit ins Krankenhaus schlich, um bei ihr zu sein… Diese Freundschaft zerbrach daran, dass ich damals vollkommen davon überzeugt war, dass diese Aussage korrekt sei und obendrein so wichtig, dass man sie öffentlich zur Schau tragen müsste.

Mord bleibt Mord

Ja, vielleicht sind auch Soldat:innen Mörder:innen, wenn sie jemanden umbringen. Den Gedankengang von damals kann ich noch irgendwie nachvollziehen. Ein Mord – im Gegensatz zum Totschlag – wird mit Absicht und geplant ausgeübt, nicht im Affekt. Es mag Momente geben, da handeln auch Soldat:innen im Affekt, doch sie töten auch gezielt und dann, ja, dann denke ich auch heute noch, dass man das Mord nennen könnte. Und gleichzeitig frage ich mich, was diese Definition hilft, denn in manchen Situationen, denke ich, wenn ich ehrlich bin, da würde ich selbst lieber töten können als stillschweigend zuzusehen.

Ein Albtraum-Dilemma

Es gibt einen Albtraum, der mich seit Jahren verfolgt. Ich habe den Finger am Abzug einer Waffe und ich muss entscheiden, ob jemand stirbt, den ich liebe, oder ob ich denjenigen umbringe, der dieser Person schaden mag. Ich breche den Traum meistens ab, zum Glück kann ich das. Manchmal habe ich den Traum auch zu einer friedlichen harmonischen Lösung gelenkt, aber ich wusste genau, dass diese unrealistisch war. Geschossen habe ich nie, aber es blieb immer der fahle Nachgeschmack, dass ich mich im echten Leben vielleicht doch anders verhalten würde.

Der Traum war damals da und ist mir bis heute – 20 Jahre später – treu geblieben.

Doch anders als damals würde ich heute nicht mehr einen “Soldaten sind Mörder”-Button oder -Sticker spazieren tragen. Ich würde den Satz auch auf kein Plakat oder Banner malen und auf einer Demo spazieren tragen. Ich würde nicht mehr sagen: “Alle Waffen nieder” und dass die Welt zu retten ist, wenn wir nur einfach nicht mehr kämpfen.

Tod auf Knopfdruck

Angesicht zu Angesicht: Wenn da einer nachgibt, nicht kämpft, Frieden gegen Krieg setzt. Ja, dann mag das gelingen, so von Mensch zu Mensch. Doch wenn irgendwo irgendwer auf ein Knöpfchen drückt und eine Rakete startet oder eine Drohne per Joystick lenkt und am Bildschirm genau dasselbe sieht wie in jedem gut gemachten Computerspiel, dann kann da unten jemand noch so friedliebend die Waffen niederlegen; es hat schlichtweg keinerlei Wirkung. Denn derjenige, der hier angreift, tötet und wegsprengt, bekommt von dem Friedensangebot rein gar nichts mit.

Und ich denke auch, dass jede:r das Recht hat, sich zu verteidigen, wenn es hart auf hart kommt, und ich denke an die Pflicht zum Widerstand, die in unserem Grundgesetz verankert ist, und Widerstand kann eben auch bedeuten, zur Waffe zu greifen.

Ich würde mir wünschen, dass wir alle Waffen und alles Militär abschaffen könnten. Die Waffen nieder, wirklich alle und überall. Das wäre ein Traum. Doch ich fürchte, genau das wird es auch noch ganz schön lange bleiben: ein Traum. Und unsere Realität gelingt nicht ohne Waffen und klare Kante gegen Aggressoren, die ihre Diktaturen erweitern wollen.

Lehren aus der Geschichte

Ohne solche Waffen und Militäreinsätze wären wir vermutlich bis heute ein Nazistaat und hätten Millionen weitere Menschen ausgerottet – weil sie “falsch” denken, “falsch” aussehen, “falsch” glauben… und gleichzeitig bringen von unserem Boden aus gelenkte Drohnen anderswo Menschen um, weil eine der Mächte, die uns damals vom Naziregime befreit hat, von hier aus Krieg führt in der Welt und ihre Version von Gerechtigkeit durchsetzt, die auf keinen Fall mit unserem Grundgesetz vereinbar wäre. Todesstrafe per Knopfdruck. 

Sie ist komplex, diese Sache mit den Waffen. Lasst uns daher auch komplex über sie sprechen, statt Einheitsantworten auf zu viele Fragen finden zu wollen.

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