Wieso Verdi die Tarifverhandlungen mit den Helios-Kliniken in Niedersachsen abbricht

Das Helios-Klinikum in Hildesheim.

Nach mehreren Monaten Verhandlungen hat die Gewerkschaft Ver.di die Tarifverhandlungen für die sieben Helios-Kliniken in Niedersachsen abgebrochen. Wieso und wie es weitergeht.

Im Betriebsrat für die sieben Helios-Kliniken in Niedersachsen ist der Frust deutlich zu spüren. „Wir wollen uns nicht um jeden Preis kaufen lassen“, sagt Izabela Dierks, Betriebsratsvorsitzende des Nienburger Standortes und Sprecherin der ver.di-Tarifkommission, über den Abbruch der Tarifverhandlungen und merkt an: „Wir haben unsere Würde behalten.“

Sechs Lehrmonate

Eine Gehaltserhöhung von 1,4 Prozent ab dem 1. Juli 2022 und einen Corona-Bonus von 400 Euro (zusätzlich zur staatlichen Prämie), der noch 2021 ausgezahlt werden sollte, hatte Helios vorgeschlagen. „Das sind sechs Lehrmonate“, kritisiert Dierks und spricht eher von einer Steigerung von 0,7 Prozent über das Jahr gesehen. Mit Blick auf die jüngste Debatte um weiter steigende Kraftstoffpreise und Lebenshaltungskosten halte der Betriebsrat das Helios-Angebot für zu wenig. „Das deckt nicht einmal die Hälfte der Inflationsrate“, stellt Dierks fest.

Auch ihre Kolleg:innen am Helios-Standort in Nienburg hätten sich über diesen Vorschlag gewundert und als nicht fair betrachtet: „Sie sehen: Wir sind nicht arm und stehen gut da.“

Auf der Seite von Helios argumentiert Sprecher Christian Becker, dass „die wesentlichen Eckpunkte“ des Angebots dem zuvor abgeschlossenen Konzerntarifvertrag für nicht-ärztliche Berufe entsprächen.

Weil die sieben Helios-Standorte in Niedersachsen bis zur Übernahme im Jahr 2014 zur Rhön-Klinikum AG gehörten und einige davor in kommunaler Hand waren, verhandeln sie noch eigene Haustarifverträge. Dafür setzen sie sich jedoch an einen Tisch und entscheiden dann einzeln, ob sie die Vereinbarung akzeptieren. „Der Arbeitgeber muss sich nicht darauf einlassen“, merkt Betriebsrätin Dierks an. Dafür biete dieses Verfahren Vorteile für beide Seiten.

Mehr freie Tage dank Haustarif

Ein Unterschied zum Rest des Konzerns sind etwa die freien Ausgleichstage, führt Dierks aus. Vereinfach gesagt: Weil die Beschäftigten 40 statt 38,5 Stunden pro Woche arbeiten, erhalten sie zehn zusätzliche freie Tage im Jahr. „Das ist schon was Feines bei der Arbeitszeitverdichtung“, sagt die Betriebsrätin, die selbst als Pflegekraft begonnen und anschließend eine Fachausbildung für Intensivpflege und Anästhesie absolviert hat.

Dem neuen Konzerntarifvertrag hatte auch ver.di zugestimmt und ihn als „ordentliches Ergebnis“ präsentiert. Bei den Standorten mit Haustarif kritisierte die Gewerkschaft nun, dass die Beschäftigten „vom größten deutschen Klinikbetreiber eine Corona-Prämie ohne Vorbedingungen und ohne Verrechnung mit jetzt festgelegten minimalsten Lohnerhöhungen im nächsten Jahr fordern“.

Von Helios heißt es, der vorzeitige Tarifabschluss für das Jahr 2022 hätte allen Beteiligten Planungssicherheit gebracht. „Wir bedauern, dass es dadurch nun keine tarifliche Corona Sonderzahlung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben wird“, teilt Becker mit.

Befremdliches Angebot

Dierks sagt, dass ihr und den Kolleg:innen die vorgeschlagene Entgelterhöhung für das kommende zu diesem Zeitpunkt befremdlich vorgekommen sei. „Sie haben gleich die Tüte zugemacht.“ Dabei sollte der Corona-Bonus doch wegen der Wertschätzung gezahlt werden und nicht an das Gehalt gekoppelt werden. „Die Prämie soll für 2020 sein, nicht für 2022 – da hätten wir sechs Monate lang nichts“, argumentiert sie.

Einige Kollegen haben sich angesteckt und sind noch nicht wieder am Arbeitsplatz oder können nicht wie zuvor. Das ist ein Riesentribut.

Izabela Dierks

Izabela Dierks

Betriebsratsvorsitzende bei Helios in Nienburg und Sprecherin der Tarifkommission

Betriebsrat und Tarifkommission hätten deshalb keine Grundlage mehr für Verhandlungen gesehen. „Das können und wollen wir nicht machen“, sagt Dierks und spricht von einem „Knüppel“-Angebot. Sie erinnert an das Jahr 2010, als die Arbeitgeberseite (damals Rhön) erst nach einem Abbruch nachverhandelt und das Angebot verbessert habe.

Zusätzlicher Unmut wegen Rekord-Dividende

Weiteren Unmut hat in diesem Zuge verursacht, dass der Helios-Mutterkonzern Fresenius für das Jahr 2020 eine Rekorddividende von 88 Cent (plus fünf Prozent zu 2019) ausgeschüttet hat. „Ich stelle mir das vor wie einen richtigen fetten Kuchen: Die Aktionäre bekommen die Sahne und die Früchte und wir nicht einmal den Boden – sondern nur die Krümel vom Schneiden“, sagt sie.

Diese Rekord-Dividende hatte auch der Marburger Bund Niedersachsen kritisiert, da Helios aufgrund sinkender Patientenzahlen und kürzerer Klinikaufenthaltsdauern teilweise Stellen nicht nachbesetzen will. Becker setzt dem entgegen, dass das nicht zusammengehöre und noch drei weitere Unternehmensbereiche zum Fresenius-Konzern zählen.

Den weit überwiegenden Teil unserer Überschüsse investieren wir wieder in immer bessere Medizin, die den Patient:innen zu Gute kommt und dabei gleichzeitig das Gesundheitssystem entlastet. Auch unseren Mitarbeiter:innen kommt das zu Gute, denn sie profitieren von einer modernen und ansprechende Arbeitsausstattung und -umgebung.

Christian Becker

Sprecher bei Helios

Für die Helios-Beschäftigten steht nun noch die letzte Staffel der Entgelterhöhung an, die vor zwei Jahren verhandelt wurde und bis Ende des Jahres gültig ist. Ab dem 30. September kann er gekündigt werden, dann müssen beide Seiten erneut verhandeln.

Beitrag veröffentlicht am Juni 21, 2021

Zuletzt bearbeitet am Juni 21, 2021

Schreibe einen Kommentar