Mehr Integration wagen: Spinelli-Gruppe im EU-Parlament stellt “Projekt 27” vor

Bei einer Pressekonferenz des Europäischen Parlaments stehen vier Personen an Rednerpulten, sprechen und gestikulieren. Im Vordergrund ist ein Zuschauer zu sehen.

Nationale Alleingänge behindern immer wieder ein geschlossenes Auftreten der Europäischen Union. Die Spinelli-Gruppe im EU-Parlament arbeitet mit dem "Projekt 27" an einer ambitionierten Reform für eine vertiefte europäische Integration.

Die Europäische Union neu gedacht. Eine Gruppe an Parlamentsabgeordneten wagt den Vorstoß, für eine Reform des grundlegenden Vertragswerks zu werben. Mit dem „Projekt 27“ wollen die Mitglieder Spinelli-Gruppe1Die Spinelli-Gruppe wurde 2010 von Abgeordneten verschiedener Fraktionen im EU-Parlament gegründet. Sie setzen sich für eine föderalistische Union ein. Die Gruppe ist nach dem Italiener Altiero Spinelli benannt, der als Vordenker einer europäischen Integration gilt. Auch die zerbrochene Ampelkoalition in Deutschland hatte sich diesem Ziel verschrieben und für die “Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat” (Seite 104) geworben. in den kommenden zwei Jahren einen deutlichen Veränderungsprozess in die Wege leiten. Ende Januar haben sie im EU-Parlament in Straßburg über ihre Vision gesprochen.

Kompetenzen für Brüssel und Straßburg

Ziel des Reformprojekts ist eine vertiefte europäische Integration mit mehr Kompetenzen für die Union und weniger nationalen Alleingängen. „Das ist sehr ambitioniert“, sagt Lukas Mandl, Vorsitzender der Spinelli-Gruppe und Mitglied der EVP-Fraktion2Die “Europäische Volkspartei” ist eine der größten politischen Gruppen im EU-Parlament und setzt sich hauptsächlich aus christdemokratischen, konservativen und sympathisierenden Parteien aus den EU-Mitgliedstaaten zusammen., über das Vorhaben in diesem kurzen Zeitraum. Vor allem für einen Apparat, der für seine chronische Schwerfälligkeit bei Entscheidungsprozessen bekannt und verrufen ist. Erreichen wollen Mandl und seine Mitstreiter:innen die Vertragsreform mit einer europäischen Konvention, wie sie im Vertrag der EU-Mitgliedstaaten vorgesehen ist. Themenfelder wie Sicherheit, Wirtschaft, Ausbildung von Arbeitskräften oder die Sozialsysteme könnten auf diese Weise eine gemeinsame politische Grundlage erhalten. Mandl nennt das Motto:

Mehr Frieden nach innen, mehr Stärke nach außen.

Wie dieser Reformplan im Detail ausgestaltet wird, soll sich im Zuge des „Projekts 27“ zeigen. „Das ist wirklich ein Startpunkt heute“, unterstreicht Mandl. Die Spinelli-Gruppe sehe daher davon ab, von anderen zu fordern, sondern verschreibe sich viel mehr der Idee: „Wir wollen Brücken bauen und andere überzeugen.“ Dafür brauche das Team neben parlamentarischen Mehrheiten auch die Unterstützung der einzelnen Mitgliedstaaten. In welche Richtung die Spinelli-Gruppe dabei denkt, hat sie bereits skizziert:

  • Eine Neugestaltung und Abschwächung des Einstimmigkeitsprinzips3Bei Themen, die die EU-Mitgliedstaaten als sensibel erachten, müssen im EU-Rat alle zustimmen. Dazu zählen etwa die Bereiche Steuern, soziale Sicherheit oder die gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik. In der Folge hat hier jeder Mitgliedstaat ein Vetorecht. für eine schnellere und klarere Entscheidungsfindung
  • Eine neue europäische Sicherheits-Infrastruktur ergänzend zur NATO
  • Stärkung der Wirtschaft durch effizientere Regulierung4Gemeint ist weniger Deregulierung sondern beispielsweise der Abbau von Doppelstrukturen oder vereinfachte Meldeprozesse., strategische Investitionen, mehr (Aus-)Bildung, Innovationsgeist und gestärkte Belegschaften, um dem „demografischen Winter“5Gemeint sind die seit Jahren sinkenden Geburtenraten in der EU. zu begegnen
  • Eine verstetigte Unterstützung für die Ukraine und anderer Teile Europas, die direkt militärisch angegriffen werden; zudem sollen EU-Akteur:innen an den Wiederaufbauplänen für die Ukraine beteiligt werden
  • Entwicklung europäischer Demokratie-Strukturen6Aktuell werden zum Beispiel nur die Mitglieder des EU-Parlaments direkt gewählt. Anders als nationale Parlamente hat das Parlament keine Gesetzgebungskompetenz.
  • Vorbereitung für eine weitere Vergrößerung der EU

Einer der Architekt:innen dieses Plans ist Daniel Freund (Grüne/EFA7Die Fraktion „Die Grünen“ und „Europäische Freie Allianz“ vereint ökologische und regionalistische sowie autonome Parteien aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten.). Die Krisen der vergangenen 15 Jahre – von Finanz- und Bankenkrise über Migration bis hin zum russischen Angriff auf die Ukraine – hätten den Reformbedarf der EU gezeigt. „Die Welt um uns herum ändert sich“, bilanziert der deutsche Parlamentsabgeordnete. Ob Russland, USA oder China: Für Europa würden die internationalen Beziehungen feindseliger. „Wir müssen vereint und stark sein und in der Lage, uns anzupassen“, lobt Freund aus. Für europäische Probleme brauche es daher eine engere Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten, um gemeinsame Lösungen zu finden. Ohne eine Reform drohe ein voranschreitender Niedergang der Union.

Finanzverhandlungen als Türöffner

Die bevorstehenden Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU sieht Freund als gute Gelegenheit, die Weichen für eine andere Zukunft zu stellen. Über die mittelfristigen Planungen ließen sich am ehesten weitreichende Kompromisse schließen. Zeitgleich müsse bei den nationalen Regierungen und Parlamenten für das Vorhaben geworben werden.

Alle Beteiligten müssten einen Geist entwickeln, dass nun Handlungsfähigkeit gefragt sei, sagt auch Spinelli-Vorstandsmitglied Gabriele Bischoff (S&D8Die Fraktion “Sozialisten & Demokraten” setzt sich aus sozialdemokratischen, sozialistischen und progressiven Parteien zusammen.). „Es ist klar, dass wir Zeit verloren haben und nicht gut vorbereitet waren für die Zeiten, in denen wir uns jetzt befinden“, sagt die Sozialdemokratin. Zunächst müssten Brücken gebaut werden, um die Vertragsreform gemeinschaftlich in die Wege zu leiten. Auch innerhalb der Spinelli-Gruppe herrsche noch nicht in allen Punkten Einigkeit, merkt Mandl an. Ein weiteres Zögern könne sich die EU allerdings nicht leisten, auch wenn eine vertiefte Integration kompliziert werde. „Aber die Welt und die Situation werden noch komplizierter, wenn wir nicht handeln“, betont sie.

Footnotes

  • 1
    Die Spinelli-Gruppe wurde 2010 von Abgeordneten verschiedener Fraktionen im EU-Parlament gegründet. Sie setzen sich für eine föderalistische Union ein. Die Gruppe ist nach dem Italiener Altiero Spinelli benannt, der als Vordenker einer europäischen Integration gilt. Auch die zerbrochene Ampelkoalition in Deutschland hatte sich diesem Ziel verschrieben und für die “Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat” (Seite 104) geworben.
  • 2
    Die “Europäische Volkspartei” ist eine der größten politischen Gruppen im EU-Parlament und setzt sich hauptsächlich aus christdemokratischen, konservativen und sympathisierenden Parteien aus den EU-Mitgliedstaaten zusammen.
  • 3
    Bei Themen, die die EU-Mitgliedstaaten als sensibel erachten, müssen im EU-Rat alle zustimmen. Dazu zählen etwa die Bereiche Steuern, soziale Sicherheit oder die gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik. In der Folge hat hier jeder Mitgliedstaat ein Vetorecht.
  • 4
    Gemeint ist weniger Deregulierung sondern beispielsweise der Abbau von Doppelstrukturen oder vereinfachte Meldeprozesse.
  • 5
    Gemeint sind die seit Jahren sinkenden Geburtenraten in der EU.
  • 6
    Aktuell werden zum Beispiel nur die Mitglieder des EU-Parlaments direkt gewählt. Anders als nationale Parlamente hat das Parlament keine Gesetzgebungskompetenz.
  • 7
    Die Fraktion „Die Grünen“ und „Europäische Freie Allianz“ vereint ökologische und regionalistische sowie autonome Parteien aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten.
  • 8
    Die Fraktion “Sozialisten & Demokraten” setzt sich aus sozialdemokratischen, sozialistischen und progressiven Parteien zusammen.

Beitrag veröffentlicht am Februar 6, 2025

Zuletzt bearbeitet am Februar 6, 2025

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