Von der Straße lässt sich nicht erkennen, was hinter den Mauern, die das Industriegelände umschließen, liegt. Auf mehreren Freiflächen, deren Standort geheim gehalten wird, lagert die Staatanwalt der Oblast Charkiw russische Raketen und was davon übriggeblieben ist. Mehr als 1000 Geschosse lagern auf dem Raketenfriedhof, zu dem Dmytro Chubenko, Sprecher der ukrainischen Strafverfolgungsbehörde, führt. Ein Besuch für die Presse ist nur in seiner Anwesenheit möglich, von einem öffentlichen Parkplatz als Startpunkt weist er den Weg.
Was der Offizielle nach der Ankunft erzählt, dürfte er zwar in den meisten Interviews von sich geben. In seinen Augen und den Stirnfalten lässt sich diese Routine jedoch nicht erkennen, wenn er über die Arbeit und den Raketenfriedhof spricht. Oder wenn er sich an einem Trümmerteil hinunterbeugt, um zu erklären, woran sich die international geächteten Streubomben erkennen ließen. „Die Metallstücke liegen in einer Linie und der Pilot entscheidet, sie zu öffnen und die [Submunitionen] freizugeben“, sagt er. Gerade zu Beginn des Krieges habe Russland diese Geschosse massiv genutzt.
Für die Staatsanwaltschaft sind die Überbleibsel der Geschosse weit mehr als nur Metallschrott, sagt Chubenko:
Das sind Beweise für russische Kriegsverbrechen.
Allein auf dem Raketenfriedhof in Charkiw, die der Staatsanwaltschafts-Sprecher zeigt, lagert die Behörde nach eigenen Angaben Raketentrümmer im Wert von mehr als 100 Millionen US-Dollar. Weitere 1000 würden an anderen Orten aufbewahrt. „Sie wurden benutzt, um Charkiw zu bombardieren“, stellt Chubenko klar und meint damit Stadt und Oblast. Seit Beginn des russischen Großangriffs sei das Gebiet mehr als 8000 Mal beschossen worden, darunter mit den Typen:
In jedem dieser Fälle hat die Staatsanwaltschaft Verfahren eingeleitet.
Bis diese Trümmerteile jedoch Aussicht auf tatsächliche Verurteilungen brächten, seien akribische Dokumentationsarbeiten und Ermittlungen notwendig. „Jedes Mal, wenn Russland angreift, gehen Ermittler:innen an die Einschlagsorte und dokumentieren – das sind harte Beweise“, sagt Chubenko. Darauf basierend sind an den Teilen auf dem Raketenfriedhof kleine Zettel angebracht, die Details zu dem Ereignis enthalten.
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Mit als erste die Unglücksstelle zu sehen und zu untersuchen, sei für die Beteiligten gewiss keine Aufgabe; auch wenn sie darauf mehr vorbereitet seien als Zivilist:innen. „Das sind schwierige Umstände und es ist hart, das zu verarbeiten“, weiß Chubenko. Im Frühling 2022 hätten auch die Krematorien angesichts der Menge keine Leichen mehr lagern können. Er verweist jedoch auf die höheren Ziele, die mit dieser Arbeit verfolgt würden:
Es muss gemacht werden. Es ist wichtig, Gerechtigkeit zu bringen.
Stolz schiebt er hinterher, dass die Beteiligten bis Ende des Frühlings alle Leichen identifiziert und deren Todesursache festgestellt hätten. „Das sind auch Beweise von Verbrechen“, sagt Chubenko.
Der ganze Aufwand trage bereits erste Früchte, unterstreicht Chubenko. So sei auch seine Behörde daran beteiligt gewesen, dass gegen Vladimir Putin und Mariya Alekseyevna L’vova-Belova Haftbefehle durch den Internationalen Strafgerichtshof wegen der Verschleppung von Kindern ausgestellt wurden. „561 Kinder wurden aus Charkiw verschleppt“, sagt Chubenko. 218 seien inzwischen zurück in der Ukraine, 118 weiterhin in Russland und 225 mit unbekanntem Aufenthaltsort1Stand März 2023. „Russland erschwert ihre Rückkehr aus bürokratischen Gründen und sucht nach Pflegeeltern“, kritisiert er. Wie bei den Erfolgen hier soll auch der Raketenfriedhof in Charkiw dazu beitragen, weitere Schuldige zu identifizieren und ihnen später vor Gericht den Prozess zu machen.
[…] dem “Raketenfriedhof” in Charkiw sammelt die Staatsanwaltschaft Beweise für russische […]
[…] The public prosecutor’s office is collecting evidence of Russian war crimes at the “missile cemetery” in Kharkiv. […]
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