Nach Raketeneinschlag in Saporischschja: “Diese leeren Augen kannst du nicht vergessen.”

Nach Raketeneinschlag in Saporischschja: “Diese leeren Augen kannst du nicht vergessen.”

Am helllichten Tag schlägt im März 2023 eine Rakete in einem Wohnblock in Saporischschja ein. Anwohner:innen und ein Ersthelfer schildern die Szenen.

“Wir haben Blut gehustet, nachdem wir nach der Explosion eine Rauchvergiftung hatten.”

Russische Raketen haben am 22. März 2023 am helllichten Tag ein Wohngebäude in Saporischschja getroffen und verursachten zwei Tote sowie mehr als 30 Verletzte. Dutzende Menschen verloren ihr Zuhause.

Eine Ruine wie ein Kartenhaus

Irina, 62, und Yury, 74, sitzen wenige Tage später auf der Bank vor dem Eingangsbereich des Gebäudes, das kurz zuvor noch ihr Zuhause war. Freiwillige helfen ihnen, ihre Sachen aus dem neunten Stock zu holen. Es gibt keinen Strom – der Aufzug funktioniert nicht. Einige Stockwerke des Gebäudes sind jetzt zerstört und das übrige Haus kann jeden Moment einstürzen. Von unten ist zu erkennen, wie die Explosion und die Druckwelle fast noch weitere Stockwerke aus dem Gebäude gerissen hätten. Um einige Zentimeter ragen die Betonplatten am Einschlagsort über die Fassade hinaus. An den Drahtgeflechten hängen einzelne Brocken lose.

Irina und Yury sind beide kurz davor, in Tränen auszubrechen, während sie ihre Geschichte erzählen.

„Wir waren in der Wohnung, als wir in der Nähe Explosionen hörten. Wir wollten sofort nach draußen rennen, aber unsere Katze versteckte sich unter der Couch und wir versuchten, sie herauszuholen. Als wir draußen waren, traf die Rakete den dritten oder vierten Stock des Gebäudes. Wären wir sofort losgerannt, wären wir genau an der Stelle gewesen, an der sie einschlug, und würden nicht hier sitzen. Wir sahen Türen und Fensterscheiben umherfliegen und wurden von einer Schockwelle getroffen”, sagt Yury.

Anwohner:innen im Schockzustand

Sie betrachten einen Stapel Plastiktüten und eine Pflanze auf dem Weg. Darauf reduziert sich jetzt ihr ganzes Hab und Gut.

„Die Regierung sagt uns noch nicht, was mit dem Gebäude geschehen soll, ob sie es restaurieren oder abreißen werden. Im Moment ist es ein Kartenhaus. Du nimmst eine heraus und es wird zusammenbrechen”, sagt Irina.

In seinem Schockzustand bemerkte das Paar zunächst nicht, dass es eine Rauchvergiftung erlitten hatte.

„Wir sind die Treppe hinunter durch starken Rauch gerannt. Wahrscheinlich waren wir zu lange dort, weil wir danach Blut gehustet haben”, vermutet sie.

Sanitäter:innen gaben ihnen Medikamente und ließen sie wie Dutzende andere Bewohner:innen des Gebäudes gehen, aber niemand überprüfte den Geisteszustand der vom Raketeneinschlag Betroffenen.

Ersthelfer berichtet von Einsatz in Saporischschja

Roman, 24, Freiwilliger, war wenige Minuten nach dem Angriff am Tatort. Er half den Retter:innen, die Menschenmenge zurückzuhalten, die trotz der akuten Gefahr versuchte, in ihre Wohnung zu stürmen.

„Einige Leute waren im Schlafanzug. Einige in T-Shirts und Unterwäsche. Das Schockierendste waren ihre Augen. Zunächst die Angst in ihnen und eine halbe Stunde später traf sie die Erkenntnis, was passiert war. Danach wurden sie von Leere verschluckt. Diese leeren Augen kannst du nicht vergessen.”

Ungewisse Zukunft

Irina und Yury werden nun bei ihrer Tochter unterkommen. Andere, die ihre Wohnung verlassen mussten, wurden entweder von Freiwilligen oder von der Regierung in den Hostels in der Stadt untergebracht.

Nach Angaben der örtlichen Behörden wurden seit Kriegsbeginn 542 mehrstöckige Gebäude und 467 Privathäuser durch russische Angriffe beschädigt. Mehr als 400 Menschen verloren ihr Zuhause.

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