Michael Dihlmann geht seiner Arbeit als Landwirt in der Ukraine wie zahlreiche ausländische Kolleg:innen trotz des Krieges weiterhin nach. Die Gefahr eines globalen Nahrungsmangels wiegt für die Branche schwerer.
Eine Bitte hat Michael Dihlmann, bevor er einem Treffen zustimmt, um die Aussaat auf seinen Feldern in der Westukraine zu begleiten: Er möchte medial nicht als Held dargestellt werden. „Ich ziehe den Hut vor den Kollegen, die wirklich in den Kampflinien auf dem Acker sind, die Minen auf den Äckern haben, die mit Schutzwesten auf dem Traktor sitzen – das sind die wirklichen Helden“, erklärt er später. Seine Stimme wolle er nutzen, um ihnen in Deutschland Gehör zu verschaffen.
Rund eine Autostunde von Iwano-Frankiwsk entfernt bewirtschaftet Dihlmann seit etwa sieben Jahren rund 550 Hektar Land – zusätzlich zum heimischen Bioland-Hof im Landkreis Stendal; damit stelle er wohl einen der kleinsten ausländischen Betriebe im Land. „Ich mache das, damit vielleicht eines meiner kleinen Kinder später eine Chance hat, Landwirtschaft zu machen“, führt er aus. Er selbst ist Landwirt in 14. Generation. In Deutschland sei es nicht mehr wirtschaftlich, einen Hof aufzubauen und Europa werde weiter zusammenwachsen, ist der Landwirt sicher. Mit der Ukraine als Teil davon.
Ganz rund läuft die Technik noch nicht, doch mit Routine und Geschick verrichtet Dihlmann seine Arbeit auf dem hügeligen Gelände. Selbst als sich der Trekker auf rund 45 Grad neigt und die Schwerkraft im Fahrerhaus zu wirken beginnt, bleibt er gelassen. „Zwillingsräder“, kommentiert er lächelnd; bei solchen Steigungen würden allerdings auch manche Mitarbeiter passen. Mit der gleichen Ruhe legt er sein Smartphone beiseite, als er die Meldung über den Luftalarm bekommt. „So eine Rakete kostet mehrere Zehntausend Dollar, da wird doch Putin, der eh kein Geld hat, sie hier nicht abwerfen“, sagt er.
In der Stadt, neben Militäranlagen, würde er sich da auch anders verhalten – doch hier müsse eben die Feldarbeit erledigt werden. Der Flughafen in Iwano-Frankiwsk war eines der ersten Ziele des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Auch von seinem Acker sind gelegentlich Flugzeuge zu hören, eines ist später in der Nähe sogar zu sehen; offenbar ukrainisches Militär.
Die Situation in seinem Dorf sei aktuell auch nicht mit der in anderen Teilen der Ukraine zu vergleichen, betont Dihlmann:
Wenn das wirklich brenzlig wird, dann bin ich hier auch weg. Ich werde nicht riskieren, dass ich fünf Waisen zuhause habe. Ich sehe hier keine Gefahr. Die Wahrscheinlichkeit, einen schweren Arbeitsunfall zu haben oder einen Autounfall auf der Fahrt hierher ist immer noch größer, als hier auf dem Dorf militärischen Schaden zu erleiden.
Blindgänger und Minen habe er ebenfalls schon auf seinen Feldern gefunden – allerdings aus dem zweiten Weltkrieg. „Das war schwer umkämpftes Gebiet“, erzählt Dihlmann.
Was ihn sichtlich bewegt, sind neben den Kriegsverbrechen und dem Leid im Land auch die globalen Auswirkungen des Krieges. „Das ist eine Wahnsinns-Sauerei und durch nichts zu rechtfertigen: Die Landwirtschaft kaputt machen und irgendwo Hunger provozieren“, kritisiert er das Vorgehen Putins. Hier gehe es noch weniger um die Ukraine als um die Abnehmer der Agrarexporte, die darauf angewiesen sind.
Hier komme noch ein weiterer Aspekt hinzu, auf den Dihlmann unbedingt aufmerksam machen will. „Vielen ist die Problematik gar nicht klar, keine Häfen zu haben in der Ukraine“, erklärt er. Denn hierüber laufen viele eben dieser Exporte – und von diesem Lieferweg ist das Land durch die russische Besatzung der Schwarzmeer-Region weitgehend abgeschnitten. Dabei sind die Lager voll von der vergangenen Ernte. Anders als in Deutschland setzen Landwirte in der Ukraine vorwiegend auf das tagesaktuelle Geschäft, versuchen, den besten Preis mitzunehmen. Nun können sie ihre Ware jedoch nicht mehr verkaufen. Möglich wäre zwar der Landweg, Treibstoffmangel und Zollkontrollen erschweren hier jedoch die Ausfuhr. Doch selbst wenn das wegfiele, ginge die Rechnung Dihlmann zufolge nicht auf:
“60 Millionen Tonnen Getreide sind 3 Millionen Lkw. Das ist gar nicht machbar.“
Hier sei auch die internationale Gemeinschaft aufgerufen, Lösungen zu erarbeiten. Terminals oder Pipeline-Elevatoren an der Grenze, eine militärische Absicherung der Häfen, vermehrter Einsatz von Güterzügen: Irgendwas müsse sich da doch machen lassen?! „Alle Lager, die wir jetzt nicht leeren, blockieren die neue Ernte und können dafür sorgen, dass große Mengen nachher kaputt gehen, weil sie nicht gelagert werden können“, erzählt er. Zumal dieser Verkaufsdruck trotz steigender Weltmarktpreise zu einem Verfall bei den Erzeuger:innen in der Ukraine führen könne, warnt Dihlmann.
Das bestätigt auch Vitali, der für einen anderen deutschen Landwirt in der Region arbeitet; er will allerdings nicht namentlich genannt werden. Auf der 1700 Hektar großen Fläche kommen allein rund 12.000 Tonnen pro Jahr zusammen „Die Kanäle, durch die die Ware geht, sind einfach zu schmal“, schildert er. Auch der Gasmangel treibe den Landwirten mit Blick auf die aufwändigen Maistrocknung Sorgenfalten auf die Stirn. Doch sei die Ukraine ein Land, das schon immer irgendwie Lösungen gefunden und selbst in der schlimmsten Zeit die Arbeit erledigt habe. Vitali lächelt und zeigt den Optimismus, der unter Ukrainer:innen trotz aller Gräuel verbreitet ist: „Ich glaube schon, dass wir eine Möglichkeit finden, den Krieg möglichst schnell zu beenden.“ Dann werde sich das Leben im Land ändern, Ost-, Zentral- und Westukraine zu bislang ungeahnter Einheit finden.
“Dort leben verschiedene Leute mit verschiedenen Meinungen. Sie sprechen russisch, ukrainisch, ungarisch oder rumänisch. Putin wollte das Land teilen. Und wenn wir das schaffen, können wir eins sein.“
Über seinem Heimatdorf habe er auch schon Flugkörper, wohl Raketen, gesehen. Ans Weggehen jedoch noch nicht gedacht; was er wegen des Ausreiseverbots für wehrfähige Männer auch gar nicht dürfte. „In dem Gebiet ist es eigentlich ruhig“, findet er. Zumal die Arbeit gemacht und den eigenen Leuten geholfen werden müsse. Und es muss eben weitergehen, bestätigt auch sein Chef; wobei er die ukrainische Frau und das Kind erst einmal zu den Großeltern nach Deutschland geschickt hat. Doch er ist geblieben. „In der Landwirtschaft kann man das nicht von heute auf morgen liegen lassen“, sagt er. Nur der Sinn dieses Krieges erschließe sich ihm noch nicht, Gewinner gebe es offensichtlich keine.
Doch, dass Putin nach einem militärischen Erfolg in der Ukraine die Waffen ruhen lassen würde, glaube er nicht. „Umso früher man dem Leid ein Ende setzt, desto besser ist es für alle“, sagt er daher. Je früher eine Intervention, desto weniger Menschen müssten am Ende leiden. Deswegen verstehe er auch die innerdeutschen Debatten und das zögerliche Verhalten der Bundesregierung nicht. Als Deutscher könnte das auch auf ihn zurückfallen, befürchtet er.
Eine gewisse Vorsicht vor dem „großen Schlag“ sei durchaus berechtigt, findet Dihlmann. Doch auch er als selbsterklärter Pazifist sagt: „Man kann natürlich auch die Ukraine nicht alleine lassen. Es gab Situationen in der Geschichte, in denen auch Interventionen von alliierten Armeen durchaus sinnvoll waren – und richtig.“
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