Weltrekord für einen guten Zweck: Der Verein Little Home hat bei einer Großaktion zehn mobile Wohnboxen gebaut. Die kommen wohnungslosen Menschen zu Gute.
Gleich über mehrere Areale zieht sich die Baufläche am Samstag auf dem Parkplatz des toom-Baumarktes in Berlin Friedrichshain. 100 Menschen werkeln für den Verein Little Home an den Pressspahnplatten, schneiden sie zurecht; streichen Holzlatten; montieren Räder. Was hier entstehen soll, ist klar: mobile Wohnboxen für wohnungslose Menschen. Doch ob das eigentliche Ziel, der Weltrekord, gelingt, steht am Vormittag noch in den Sternen.
Auf den ersten Blick klingt der Versuch leicht umzusetzen. Mindestens 100 Freiwillige muss der Kölner Verein zu einem eintägigen sozialen Minihaus-Bauprojekt zusammenbekommen; um das zu gewährleisten, ist dieses Mal eine Anmeldung erforderlich. Nach zwölf Stunden muss zudem mindestens ein Little Home bezugsfertig sein, so die Vorgabe des Rekord-Instituts für Deutschland (RID). „Das ist eine neue Rekordkategorie“, erklärt Rekordrichterin Laura Kuchenbecker zum Auftakt. Deshalb musste das Institut eine Vorgabe finden, die sich künftig auch vergleichen lässt. Weil sich etwa die Bauweise deutlich unterscheiden könnte, entschied sich das Institut für die Personenzahl als Messwert.
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Trotz der Erfahrung von mehr als 200 gebauten Little Homes macht Organisator Sven Lüdecke aus seiner Nervosität keinen Hehl. Zwar zeigen sich zunächst alle Beteiligten engagiert und erfüllen fleißig ihre Aufgaben. Die Fließbandarbeit ist jedoch eine Premiere, an den bisherigen Bautagen werkelten die Gruppen bisher ohne Zeitdruck an ihren Wohnboxen. Nun gibt es für die zehn jeweils zehnköpfigen Teams klare Zuweisungen für die Arbeitsschritte.
Am Mittag bringt dann ein kurzer Regenschauer den Zeitplan weiter durcheinander und auch sonst gestaltet sich der Fortschritt nicht so wie von Lüdecke erhofft. Bis zum Mittag spricht er von zwei Stunden Verzögerung, weil die langen Seitenwände noch nicht fertig sind. Dadurch stockt der weitere Ablauf. „Wir bauen zu viele Häuser gleichzeitig mit ungeübten Leuten“, kommentiert der Organisator zwischendurch und schiebt hinterher: „Das ist vollkommen in Ordnung.“ Hektik bringe nichts und die Motivation der Teilnehmenden solle nicht leiden. „Natürlich brodelt es, ich würde den Zeitverlust gerne abfangen“, merkt Lüdecke an. Irgendwie werde es schon funktionieren.
So fällt dann beispielsweise die eingeplante, 30-minütige Mittagspause dem Zeitdruck zum Opfer. Stattdessen bedienen sich die Aktiven im laufenden Betrieb an Bratwurst, Wassermelone und Müsliriegeln. Als dann die ersten Seitenwände zu den Fundamenten gerollt kommen, versammelt Lüdecke das Team um sich. Klare Ansagen, ein bestimmter Ton – hier wird deutlich, dass es für Little Home an diesem Bautag um mehr geht als nur ein soziales Projekt.
Als eine halbe Stunde später bereits am siebten Haus die Wände angeschraubt werden und jede:r wieder eine Aufgabe zu haben scheint, wirkt auch die Stimmung wieder deutlich entspannter. „Ne, überhaupt nicht“, gibt Lüdecke einen kurzen Einblick in seine Gefühlswelt. Besser sind da die Helfer:innen aufgelegt. „Das ist sehr geil“, sagt etwa Robin Junck über die Aktion: „Das Schrauben macht Spaß.“ Auch Amelie Classen zeigt sich zufrieden. Eigentlich sei sie handwerklich nicht sonderlich begabt.
Jetzt habe ich zehn Mal das Gleiche gemacht – und es bringt erstaunlicherweise viel Spaß – und ich weiß jetzt, wie man eine Hauswand baut.
Für Tischler Daniel Otte, der sich für den Bautag kurzfristig als Ersatzmann dem Influencer:innen-Team angeschlossen hat, bedeutet diese Art der Arbeit ebenfalls Neuland. „Als Möbeltischler arbeitet man eher auf den halben Millimeter genau“, sagt er mit Blick auf so manche größere Fuge, die später mit Bauschaum geschlossen wird, oder Kurve in den Zuschnitten. Da habe er sich erst einmal rantasten müssen. Klar sei jedoch: „Die Aktion ist eine geile Sache.“ Zumal auf diese Weise eine breite Zielgruppe mitwirken könne. Teamintern laufe bei den Profis alles reibungslos, die Vorbereitung sei für sie fast zu gut gewesen. Da sie mit ihren Arbeitsschritten so schnell fertig waren, konnten sie sich noch andernorts nützlich machen.
Mit dem fortschreitenden Bauprozess löst sich dann auch bei Lüdecke allmählich die Anspannung. Eine neue Bauweise für das Dach habe viel Zeit gespart, teilweise vorgefertigte Teile beschleunigten die Arbeiten zusätzlich. Zum Schluss sind es vor allem die Dekorationsarbeiten wie die Holzleisten an den Außenwänden, die viel Zeit in Anspruch nehmen. „Das ist immer noch nicht begreifbar“, sagt Lüdecke, als er auf die zehn Little Homes in Reihe blickt: „Es ist faszinierend und spannend, wie viele Menschen meiner bekloppten Idee folgen – geil.“
Gegen 20 Uhr, knapp zehn Stunden nach Baubeginn, sind die meisten Wohnboxen dann fertig und eingerichtet. Das erste Little Home wird gleich am Abend noch spontan wohnungslosen Menschen auf dem Parkplatzgelände bereitgestellt. Mit der Urkunde in der Hand fällt dann auch die letzte Anspannung und die Tränen fließen. „Für mich ist das gerade ein Traum“, sagt Lüdecke mit gebrochener Stimme. Jedes kleine Kind wünsche sich, einmal einen Rekord aufzustellen. „Jetzt ist das Realität“, merkt er ungläubig an.
Auf eine neue Realität können ab September dann neun weitere wohnungslose Menschen in Berlin hoffen. In den kommenden Wochen sollen die Wohnboxen an verschiedenen Orten im Gebiet der Hauptstadt aufgestellt und bezogen werden, verbunden mit Unterstützung durch den Verein, um wieder in einen geregelten Alltag zu finden. Sie von der Straße zu holen, sei wichtiger als jeder Rekord, hatte Lüdecke bereits vor dem Großbautag betont.
Offenlegung: Der Verein Little Home hat Unterkunft und Verpflegung für die Begleitung des Bautages übernommen.
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