“Jeder, der diesen Weg auf sich nimmt, hat einen verdammt guten Grund.”

Wie Inselbewohnerinnen in der Ägaeis Geflüchteten begegnen

Das türkische Bodrum ist abgeriegelt, der Tourismus fordert es ein. Genau so geht es auf der griechischen Insel Kos zu, die keine fünf Kilometer und damit am zweitnächsten vom Nicht-EU-Ausland entfernt liegt. Der sogenannte „Hotspot“ — bestehend aus einem Registrierungszentrum und einem Abschiebelager — ist irgendwo im Nirgendwo, Geflüchtete sind im Straßenbild kaum noch anzutreffen. Wenn nachts ein Boot ankommt, wird kein Aufheben darum gemacht.Tags darauf gibt es eine Liste mit dem, was sie benötigen. Ein kleines Spendenlager zwischen Cafés und Restaurants wird regelmäßig mit Spenden von der Insel, dem Festland und aus dem Ausland wiederbefüllt. Das, was in den Medien nach wie vor „Flüchtlingskrise“ heißt, ist hier Alltag (geworden).

Ist es einfach die Gewöhnung? „Ich bin Anfang der 90er-Jahre hierher gezogen“, verrät Jaana. Die gebürtige Finnin hatte sich damals in einen Griechen verliebt, heiratete, zog auf die Insel. Ihre erste Wohnung: Nahe des Lambi-Strands,der als der übliche Ankunftsort für Boote gilt. Nachts leuchten hier die Straßenlaternen einladend auf’s Meer, ein guter Anhaltspunkt für die oft orientierungslosen Bootsinsassen und ihren ungeübten Bootsführer.

„Etwa einmal die Woche gab es nachts Hundegebell, Polizeisirenen und Geschrei“, schildert sie. Dann seien wieder Flüchtlinge angekommen.

Ich bin erstaunt: Einmal die Woche? Anfang der 90er? Ganz normal, sagt Jaana. Vermutlich habe man das nur anderswo in Europa nicht mitbekommen. Immer mal wieder seien es mehr Menschen gewesen, dann habe irgendjemand geholfen. Mal mit warmen Mahlzeiten, mal mit Decken, was eben so gebraucht worden sei. 2015 schließlich hätten geflüchtete Familien direkt in der Straße, in der sie wohne, gezeltet oder auf dem nackten Boden geschlafen. Da habe sie einfach etwas tun müssen. „Ich habe Windeln gekauft, Essen, Babynahrung — und sie verteilt.“

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Eva mit Pflegehund Habibi. Foto: Lena Reiner

Wenn man eines von den engagierten Frauen auf Kos lernen kann, dann ist es dieser schulterzuckende Pragmatismus. Ein Mensch hat Hunger, er bekommt er etwas zu essen. Ein Mensch friert, er bekommt eine Decke. Ohne einen Heiligenschein zu erwarten, helfen Inselbewohnerinnen wie Jaana seit Jahren und Jahrzehnten denen, die weniger haben als sie selbst.

Selbst Hotelbetreiber und -betreiberinnen beteiligen sich; der eine stellt besonders günstig Zimmer zur Verfügung, die Hausherrin strickt derweil Mützen und Schals für die Neuankömmlinge im Winter. Freiwillige Helfer bekommen besonders günstig Kaffee und auch manche Restaurants geben großzügig Rabatt, wenn sie jemanden dementsprechend zuordnen können.

„Als ich hier damals ankam, habe ich nur ein Jahr gebraucht, um Griechisch zu lernen“, schildert Jaana. Neben Griechisch findet sie aber vor allem eins wichtig: Hilfe in den jeweiligen Herkunftsländern, denn viele seien Armutsmigranten. Dora sieht das anders. Sie ist sich sicher: „Jeder, der diesen Weg auf sich nimmt, hat einen verdammt guten Grund.“ Sie erinnert sich an die vielen Flüchtenden, die nie am anderen Ufer ankamen und an die Kinder, die erfroren in den Armen ihrer Eltern die Insel erreicht haben. „Daher mag ich auch gar nicht anfangen, hier zwischen ‘Migranten’ und ‘Flüchtlingen’ zu unterscheiden. Diese Einordnung ist überflüssig.“ Sie selbst sei 1979 aus Südafrika mit ihren Eltern auf die Insel gekommen, der Bruder ihres Vaters habe hier bereits gelebt. Ein Kulturschock, erinnert sie sich. „Daher glaube ich zu wissen, wie sich die Leute fühlen, wenn sie hier landen.“ Was sie ihnen geben kann? Es klinge vielleicht simpel, aber doch sei es wichtig: „Ein Lächeln“, sagt sie. Das sei das Erste. Und wenn sie entscheiden könnte, wie es danach weiter gehe, dann würde sie ihnen einfach dabei helfen, ihr eigenes Leben aufzubauen. „Dazu braucht es oft nicht viel, ein bisschen Unterstützung und dann findet man sich zurecht. Aber man muss eben hier sein dürfen und auch bleiben.“

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Dora. Foto: Lena Reiner

Sie erinnert sich zurück an die vielen Nächte, in denen sie direkt am Hafen Ankommende in Empfang genommen hat. „Ich weiß noch, wie auf einmal frühmorgens sieben Männer vor mir standen. Es hatte abends zu regnen begonnen und so hat mich nicht verwundert, dass ihre Haare und Kleider nass waren“, erinnert sich Dora, die zwei Jahre lang für eine Hilfsorganisation auf ihrer Heimatinsel Kos gearbeitet und dabei viele Monate lang Nachtschichten am Hafen geleistet hat. „Ich wurde erst stutzig, als ich ihre nackten Füße sah. Wir versorgen schließlich alle mit Schuhen.“ Sie sprach die Männer an, fragte, wo sie herkämen, versuchte herauszufinden, woher sie den Weg zum Wärmebus kannten, auf den sie zielstrebig zugesteuert waren. Die Kommunikation habe sich allerdings sehr schwierig gestaltet. Mit Händen und Füßen, ein paar Brocken Englisch und noch mehr Gesten hätten die Männer ihr erklärt, dass sie 13 Personen gewesen seien, als sie in der Türkei aufgebrochen seien. Ihr Boot sei allerdings untergegangen. Boot? Sie beschreibt es. Eine kurze Googlerecherche ergibt: Zugelassen wäre ein solches aufblasbares Gummiding eigentlich nur für Badeseen und drei Personen.

Sie wechselt das Thema, erinnert sich an ihre Zeit auf dem Festland in einem der Flüchtlingslager. Ein Mann von den 3000 dort habe sie erkannt und angesprochen. Sich bedankt für ihr Lächeln damals auf der Insel. „Das hat mir gezeigt, wie wichtig das ist. Dabei finde ich es ganz normal. Wir sind doch alle Menschen.“ Sie denkt weiter über ihre Utopie nach. Was wäre, wenn jedem einfach Unterstützung zukäme für ein eigenes Leben in Sicherheit? „Es ist Wahnsinn, was entstehen kann, wenn unterschiedliche Menschen und Kulturen aufeinander treffen. Das gibt so eine unglaubliche Energie.“ Man müsse es nur zulassen.

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Eva. Foto: Lena Reiner

Auch Eva ist berührt von all ihren Erfahrungen bei ihrem Engagement im Hotspot und in der Begegnung mit Geflüchteten. Sie schüttelt den Kopf, fasst sich an die Stirn. „Die schlimmen Dinge mag ich einfach vergessen, da raus bekommen. Aber sie sitzen so tief.“ Immer wieder habe die Lokalregierung das Helfen schwergemacht. Den Standpunkt am Hafen verboten, Maßnahmen torpediert. „Dem verdanken wir, dass wir als Insel der Rassisten gelten!“ Seit es offiziell den Hotspot gebe, sei das alles besser geworden, sagt sie. Und wehrt sich vehement gegen den Begriff der „illegalen Migranten“ — es sei schlimm, wie manche Leute denken würden. Ihre Großmutter sei Flüchtling gewesen, vor fast einem Jahrhundert. Auch ihr seien damals Vorurteile entgegen geschlagen. „Dabei sprach sie sogar dieselbe Sprache und kam eigentlich aus demselben Land.“ Es sei an der Zeit, von früher zu lernen und es jetzt besser zu machen.

„Wir müssen alle an einem Strang ziehen, dazu haben wir doch die EU!“

Zwei der zitierten Frauen sowie die Berichterstatterin selbst sind bzw. waren für die deutsche Hilfsorganisation Flying Help e.V. im Einsatz.

Beitrag veröffentlicht am März 17, 2019

Zuletzt bearbeitet am März 17, 2019

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