Irpin: Vitalis Rundgang durch seine zerstörte Heimat

Irpin: Vitalis Rundgang durch seine zerstörte Heimat

Im Nordosten von Irpin ist ein Wohnviertel besonders von den Kampfhandlungen im Ukraine-Krieg betroffen gewesen. Vitali zeigt, was in seinem Heimatort passiert ist.

Irpin, Butscha, Borodjanka – die drei Kyjiwer Vororte sind zum Symbol der Gräueltaten und Kriegsverbrechen geworden, die mutmaßlich russische Truppen im Zuge der groß angelegten Offensive in der Ukraine seit Ende Februar begangen haben sollen. Durch die schnelle Rückeroberung dieses Gebietes lässt sich das Ausmaß der Schäden gut dokumentieren und rekonstruieren.

Willkürliche Schüsse

Willkürlich hätten die russischen Panzer hier auf Wohngebäude geschossen, erzählen Anwohner:innen von Iprin. Im gesamten Stadtgebiet finden sich kleine und große Einschusslöcher, zerborstene Fenster, abgesplitterte Fassaden und Brandspuren prägen das Bild der einst rund 47.000 Einwohner:innen zählenden Stadt. Ein Einkaufszentrum, früher mit Kino und Bowling-Anlage, ist kaum mehr wiederzuerkennen.

Besonders schwer betroffen von den Kampfhandlungen war ein Wohngebiet im Nordosten Irpins an der Hostomel’s’ke Hwy, die zu keinem Zeitpunkt von russischen Truppen eingenommen werden konnte. Die modernen Hochhäuser mit Parkanlagen, Sitzbänken und Kinderspielplatz nahe eines Militärkrankenhauses liegen komplett in Trümmern, dort steht gerade Vitali und bietet einen Rundgang durch das deutlich ärmere Viertel auf der gegenüberliegenden Straßenseite an, in dem er aufgewachsen ist; gebürtig kommt er aus der Oblast Luhansk. „Viele sind nach der Explosion in Tschernobyl hier hergekommen“, erzählt er. Nach der Reaktorkatastrophe im Jahr 1986 ist es nun der Krieg, der hier Tausende Menschen vertrieben hat.

Kurz nach Beginn des Rundgangs fahren mehrere Autos in die kleine Siedlung – Rückkehrer:innen. Vitali empfängt seine langjährigen Nachbar:innen mit herzhaften Umarmungen. Die Wiedersehensfreude weicht beim Anblick der Zerstörung jedoch schnell dem Entsetzen. Noch im Auto hält sich eine wartende Beifahrerin die Hand vor Mund. Bei mehreren Menschen aus der Gruppe lassen sich feuchte, geschwollene Augen erkennen. Die Heimat in Trümmern sehen – kein leichter Anblick. Viel dürften sie auch vor dem russischen Angriff nicht gehabt haben. Aber selbst das haben sie jetzt verloren.

Ein Wohnblock in Trümmern

Vitali spricht mit deutlicher Wodka-Fahne, seine Schilderungen sind trotzdem klar und detailliert. Zwar hat er Irpin während der russischen Besatzung ebenfalls mit seiner Familie verlassen, doch wisse er genau, was in dem Quartier vorgegangen sei, vergewissert er. Seine Schilderungen klingen wie das Drehbuch für einen Kriegsfilm. Mit den zerstörten Häusern hält er sich gar nicht lange auf. Stattdessen führt er auf eine kleine Grünfläche vor zwei ausgebrannten Tankstellen und einem Supermarkt.

Schützengräben sind hier ausgehoben, kleine Wälle davor boten den Verteidiger:innen zusätzlichen Schutz. In einem der Gräben liegt noch immer ein Walkie-Talkie. Vitali erzählt von drei Straßen, die von Butscha nach Irpin führen, sein Wohngebiet liegt an der östlichen Route. „Die Brücke haben unsere Truppen gesprengt“, führt er aus; den russischen Einheiten sei dieser Zugang dadurch versperrt worden.

Artillerie jagt Panzer

Die massiven Zerstörungen in dem Wohnblock habe die russische Artillerie zu verantworten, sagt Vitali weiter. Er deutet mit dem Zeigefinger Richtung Nordwesten, zwischen Bäumen über den See hinweg auf das andere Ufer, das bereits zu Butscha zählt. „Später zeige ich euch die Garagen, zwischen denen ein ukrainischer Panzer gefahren ist und die russische Artillerie bekämpft hat. Sie haben versucht, den Panzer zu treffen – und dabei alle Garagen zerstört“, schildert Vitali. Da von hier nach Westen noch eine Straße in Richtung der zweiten Stadtzufahrt verläuft, ist auch dieser Punkt von strategischer Bedeutung.

Auf dem Weg von der Anhöhe zu der Garagensiedlung zeigt Vitali auf einen kleinen Krater in der Wiese: „Hier ist eine Mine detoniert.“ Ob inzwischen alle weggeräumt wurden? „Das weiß ich auch nicht“, entgegnet er: „Schau auf deine Füße, laufe mir nach und stell dich nicht ins Gras.“ Auf dem Weg erzählt er auch Telefonbomben und Sprengsätzen in Kinderspielzeug, die hier nach der Rückeroberung gefunden worden seien.

Unterwegs im Garagenviertel

In einer Seitenstraße stoppt Vitali, mehrere zerschossene Fahrzeuge stehen darin. „Hier ist der ukrainische Panzer gestanden“, deutet er in Richtung eine der vorderen Garagen. Weiter hinten und an der Kreuzung findet er dann auch die zwei Krater durch den Artillerie-Beschuss, von denen er zuvor erzählt hat. „Ein Schuss ist über die Häuser geflogen und hat ein Haus weiter hinten getroffen“, führt er weiter aus.

Auf dem Rückweg durch das Wohnviertel bleibt Vitali an einem weißen Auto stehen. Ein Geschoss steckt noch in der Motorhaube. Furchtlos, wenn nicht gar waghalsig, zieht er das Metallstück heraus, begutachtet es – und steckt es wieder zurück in das Loch.

Wie erbittert sich beide Seiten hier bekämpft haben, zeigt sich auch 20 Minuten südöstlich von Irpin, zwischen Zabuchchya und Dmytrivka. Am Straßenrand liegt gleich ein Dutzend Metallskelette, russische Panzer und andere Militärfahrzeuge sind hier von ukrainischen Truppen gestoppt und später zurückgedrängt worden.

An der Stadtgrenze Irpins, von der Hauptstadt Kyjiw kommend, zeugt auch ein Autofriedhof vom erbitterten Krieg. Hier stoppten die ukrainischen Truppen den russischen Vormarsch, bis sich der Agressor zurückzog.

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