Seit mehr als einen Monat protestieren Menschen im Iran gegen das Regime. Die Machthaber gehen mit größter Härte dagegen vor. Wir haben mit einer Oppositionellen gesprochen.
Zwischen den Internetsperren des Mullah-Regimes im Iran findet eine junge Frau die Möglichkeit, ein paar Fragen zur Lage im Land zu beantworten. Die Sprachnachrichten kommen erst nach mehrtägiger Funkstille an. Auch aktuell ist der Kontakt abgebrochen – diesmal allerdings bereits für deutlich längere Zeit.
Über Umwege haben wir erfahren, dass unsere Interviewpartnerin zwischenzeitlich verhaftet wurde. Wir wissen nicht, ob sie inzwischen wieder freigelassen wurde. Deshalb haben wir entschieden, ihre Aussagen jetzt zu veröffentlichen, wenn auch ohne die Audiodateien. Damit der Beitrag sie nicht zusätzlich in Gefahr bringt, anonymisieren wir die Gesprächspartnerin.
Auslöser der Proteste war Jina Aminis Ermordung, die wegen ihres nicht “korrekten” Hijabs verprügelt wurde. Was bedeutet der Hijab für dich?
Der Hijab ist vorgeschrieben. Das hat mich schon verrückt gemacht, als ich ein Kind war. Als ich später auf die Uni ging, gab es einen Extrabereich am Eingang des Gebäudes – namens Herasat – wo unser Hijab kontrolliert wurde. Jeden Morgen mussten wir uns dort vor den Vorlesungen anschauen lassen, ob die Kleidung richtig saß. Selbst für Markenklamotten wurden wir schlecht behandelt. Ich war deshalb jeden Morgen angespannt und nervös.
Und heute kann ich nicht mal einen Spaziergang in der Kleidung machen, in der ich mich wohlfühle.
Worauf hoffst du aktuell?
Ich hoffe, dass wir es schaffen, eine Revolution zu beginnen und unser Land und unser Volk von dieser Terrorherrschaft befreien können. Die Proteste jetzt sind anders als früher. Die Leute sind müde. Sie hassen alle die Regierung für das, was sie dem Land und den Menschen während der letzten 43 Jahre angetan haben. Wir wollen diese Regierung nicht mehr, wir wollen unsere Freiheit.
Wie geht es dir gerade?
Wie ich mich fühle? – Traurig, wütend, ängstlich, depressiv, …
Wie würdest du dich fühlen, wenn du mit einem Terroristen, einem Lügner, in deinem Land, deinem Zuhause leben musst?
Ich bin traurig, traurig, weil sie Menschen in meinem Land ermorden, jeden Tag. Sie bringen sogar Kinder um. Jeden Tag weinen wir, aber sie versuchen, das zu ignorieren. Wenn westliche Länder sie komplett ausgrenzen würden, aufhören würden, mit ihnen Handel zu treiben und ihnen Geld zu geben, dann könnten sie [die Machthaber] nicht so weitermachen, sie hätten keine Macht mehr, wären nicht mehr stark.
Impressionen der Proteste in Berlin Ende Oktober. Rund 80.000 Menschen sind auf die Straße gegangen; deutlich mehr als erwartet. Fotos: Lena Reiner
Ich kann nicht arbeiten, weil sie das Internet filtern und alle sozialen Medien lahmgelegt haben. Als die Proteste losgingen, haben sie das Internet angefangen zu kappen, selbst VPNs und Proxyserver haben nicht funktioniert. Sie dachten vielleicht, wenn sie das tun, denken die Menschen im Ausland, dass die Proteste aufgehört haben. Und sie wollten still und heimlich Leute ermorden können, ohne dass davon jemand erfährt. Sie wollten nicht, dass die Welt unsere Stimmen hören kann.
Auch jetzt, weil ich dir das alles gesagt habe, habe ich Angst.
Was sollte die Welt wissen und tun?
Wegen des Öls und anderer Ressourcen unterstützen westliche Länder das Mullah-Regime und die Islamische Republik. Dabei handelt es sich bei der Regierung wirklich um Terroristen – sie gehen sogar gegen ihre eigenen Leute vor.
Wieso dürfen wir kein ganz normales Leben führen? Nur weil wir diese Ressourcen im Land haben und die Welt daher die Mullahs unterstützt?
Meine Botschaft lautet daher: Hört auf, die Mullahs zu unterstützen, setzt euch für Menschenrechte ein. Schließt die iranischen Auslandsvertretungen überall, hört auf, dieses Regime anzuerkennen.
Freie Fotografin seit 2009, freie Journalistin seit 2011, Mitbegründerin von Witness Europe und Report vor Ort.
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