Kontrast zur Türkei: Griech:innen erwarten wenig von Wahlen

Kontrast zur Türkei: Griech:innen erwarten wenig von Wahlen

Am Wochenende zwischen den beiden Präsidentschaftswahlen in der Türkei wählen die griechischen Nachbar:innen ihre neue Regierung. Sie haben nicht viele Erwartungen, hoffen aber auf das Beste für sich und die Türken. Ein Besuch in der Grenzregion.

Feres ist ein kleines Grenzdorf mit rund 5000 Einwohner:innen. Nur der Fluss Evros trennt es von der Türkei – und eine eiserne Mauer. Griechenland hat in den letzten Jahren mit dem Bau begonnen, um Menschen auf der Flucht daran zu hindern, illegal ins Land einzureisen. Es war eines der Versprechen kurz vor der Wahl, die Mauer auszubauen.

Genau an dieser Grenzmauer, zwischen Blumen und hohem Gras, läuft eine Herde Kühe hinter ihrem Bauern her. Simeon Xalamanbidis, der die Mauer täglich mit seinen 50 Kühen sieht, scheint von ihr nicht beeindruckt zu sein. “Ich war schon immer hier”, sagt er, genauer gesagt seit rund 50 Jahren, “Ich bin Hirte, ich kann auch in die verbotene Zone gehen.” Man bräuchte eine Genehmigung, um hier zu sein, fügt er hinzu. Er schüttelt den Kopf über die Frage, ob die Mauer dazu beigetragen hat, die Migrant:innen fernzuhalten: “Wenn sie hier nicht rüber können, kommen sie woanders durch, wo es keine Mauer gibt.” Aber er selbst hatte keine schlechten Erfahrungen mit den Menschen, die auf irregulären Wegen in die Gegend kamen.

Einige Fakten über die griechische Grenze zur Türkei

6022

Ankünfte auf dem Landweg im Jahr 2022 (Quelle: UNHCR)

820

Ankünfte auf dem Landweg im Jahr 2023 (Stand: 14. Mai)

37,5

Kilometer lange Grenzmauer

35

weitere Kilometer sind im Bau

100

weitere Kilometer sind bis 2026 geplant (Quelle: AP News)

Nur wenige Minuten entfernt scheint das kleine Städtchen Feres so unbeeindruckt von der riesigen Mauer in der Nachbarschaft wie der Baue.

Zwischen Deutschland und Griechenland

Dimitrios trinkt mit einem Freund auf dem Hauptplatz ein Bier. Für den Teil des Dorfes ist es überraschend bevölkert mit verschiedenen Cafés und Restaurants, die sich hier aneinanderreihen. Dimitrios hat mehrere Jahre in Deutschland gelebt, bevor er in seine Heimat zurückkehrte; wie viele andere auch. “Ich hielt es dort nicht mehr aus”, sagt er. Gleichzeitig weist er auf die Vorteile Deutschlands hin, die Griechenland fehlten. “Wenn jemand hier seinen Job verliert, bekommt er nur in den ersten Monaten Unterstützung. Nach einem halben Jahr ist er auf sich allein gestellt”, erklärt er. Deutschland biete stattdessen Sozialleistungen für Arbeitslose.

Ein weiteres großes Problem, das er nennt, ist die Arbeitslosigkeit und die Chancenlosigkeit für junge Menschen. Als Sozialarbeiter für Jugendliche in einem Projekt, das von einer deutschen Organisation finanziert wird, kennt er ihre Bedürfnisse und Sorgen gut. „Diese Gegend hat ihnen nichts zu bieten“, sagt er. Obwohl 2021 ein neues Schulgebäude eröffnet wurde. Auf die Frage nach den jungen Leuten – meist Männer – in den anderen Restaurants rund um das Dorfzentrum erklärt er, dass es sich in Wirklichkeit um Wehrpflichtige handelt, die ein paar Wochen im Grenzgebiet in der Kaserne zur Ausbildung verbringen. “Früher haben sie viel mehr Zeit hier verbracht, waren sogar hier stationiert”, sagt er.

Heutzutage würden viele junge Menschen versuchen, Wege zu finden, um dem Eintritt in die Armee zu entgehen, so dass immer weniger junge Menschen hier blieben. Daher wird die lokale Gastronomie weitaus weniger besucht. Hinzu kam, dass die Pandemie Folgen zeige: Nach den strengen Regeln und Restaurantschließungen kehrten die Gäste nicht in früherer Zahl zurück.

Frustration der Bevölkerung aller Altersgruppen

Am nächsten Morgen in der gleichen Kleinstadt. Anna und Stauroula gehen am Donnerstag am späten Vormittag von der Schule nach Hause; Die Prüfungen stehen vor der Tür Ihr Stundenplan sieht nicht mehr viele Unterrichtsstunden vor, erklären sie. Am Sonntag wählen sie zum ersten Mal – beide werden in diesem Jahr 17 Jahre alt. Sie setzen keine großen Hoffnungen auf größere Veränderungen nach der Wahl; aber sie werden wählen gehen. “Natürlich!” Obwohl ihre Schule in der Nähe der Grenze liegt, sagen sie, dass weder die Mauer noch die Menschen auf der Flucht sich im Alltag bemerkbar machten.

Anna wünscht sich ein besseres Umfeld für junge Menschen in der Region: “Unsere Schule ist gut, aber generell brauchen wir bessere Bildungsangebote.” Sie ist der Meinung, dass es in der Region nicht genug Unterstützung für junge Menschen gibt. Sie selbst will nach der Schule Visagistin werden, Stauroula träumt davon, Sängerin zu werden; beide Berufe dürften in ihrer Heimatstadt kaum eine Perspektive bieten. Auch wenn sie in diesem Jahr zum ersten Mal wählen werden, ist die Schulzeit noch nicht zu Ende. Es liegt noch ein Jahr vor ihnen.

Der Mangel an Möglichkeiten ist etwas, das auch Iannis Tsardis stört. Der 64-Jährige fordert mehr Arbeitsplätze für junge Menschen. “Junge Leute gehen in die großen Städte oder ins Ausland, nach Deutschland oder Frankreich, wie meine Tochter”, sagt er. Alles, was man für ein gutes Leben braucht, gebe es in Feres, ist er überzeugt – es fehlte nur eine Möglichkeit, Geld zu verdienen.

Obwohl es um Feres herum nicht sichtbar ist, hat sich die griechische Wirtschaft seit der großen Krise im Jahr 2011 recht gut entwickelt. Das BIP steigt, die Inflationsrate sinkt, aber einige Probleme bleiben ungelöst:

  • Das BIP stieg 2021 um 8,4% und 2022 um 5,9% – dennoch liegt das BIP weit unter dem Stand von 2010.
  • Mit 5,4% war die Inflation in Griechenland im Jahr 2022 niedriger als in anderen EU-Ländern.
  • Die griechische Wirtschaft ist nicht in allen Bereichen stabilisiert.
  • Es wurden wichtige Schritte gegen die “Schwarzarbeit” unternommen und das Renteneintrittsalter angehoben.
  • Die Arbeitslosenquote ist nach wie vor eine der höchsten in der EU. In dieser Angelegenheit müssen weitere Messungen etabliert werden.
  • Weiterlesen: Wirtschaft in Griechenland erholt sich – iwd.de

Tsardidis sitzt in einem der Cafés und beobachtet die Jugendlichen, die nach einem kurzen Schultag auf den Platz strömen, um etwas zu trinken. An den kleinen Tischen sitzen und plaudern vor allem ältere Männer, trinken Kaffee und grüßen die Passant:innen auf der schmalen Straße. Als er erfährt, dass seine zwei Gesprächspartner:innen aus Deutschland kommen, greift er zum Telefon und ruft einen Freund und Namensvetter an: Iannis Koulkovinis hat fast 40 Jahre lang in Braunschweig in Fabriken gearbeitet, bis er zurückkehrte. Seine Kinder leben noch heute in Deutschland und Frankreich.

Leben zwischen den Ländern

Koulkovinis’ Familie scheint sich von Grenzen angezogen zu fühlen. Zu osmanischer Zeit zogen die Eltern des 86-Jährigen von der türkischen Seite auf die griechische, bevor die Grenze in die Karte eingezeichnet wurde. Als er in Deutschland lebte, hatte das damals geteilte Land nur wenige Kilometer von Braunschweig entfernt eine Mauer. Heute genießt seine Tochter die Vorteile der Europäischen Union und ihrer offenen Grenzen, lebt in Kehl und ihr Mann arbeitet in Straßburg, der Nachbarstadt in Frankreich. Der einzige Nachteil, der ihm einfällt, sind die widersprüchlichen Schulferienzeiten beider Länder, weshalb sie ihn jetzt und nicht im Sommer besuchen könnten.

Aber die Grenze, die zur Türkei gebaut wird, sei nichts, was mit der deutschen verglichen werden kann, betont er. Sie ist immer noch durchlässig, Griechen und Türken können sie recht leicht überqueren.

Sie sollten sich Zypern ansehen. Das ist eine Grenze; es ist wie in Süd- und Nordkorea.

Dann gibt er zu, dass er eine Genehmigung braucht, um in das Grenzgebiet seines Dorfes zu gehen. Mit seinem Freund, Iannis Tsardidis, geht er gelegentlich am Fluss Evros angeln. “Diese Genehmigung muss man von der Polizei einholen, wenn man in das Grenzgebiet einreisen will”, erklärt er und rät den Reporter:innen, sich auch an die Polizei zu wenden, bevor sie diesen Teil des Landes besuchen. “Es ist zu Ihrer Sicherheit”, fügt er hinzu, “es kann dort gefährlich werden.”

Er erklärt, dass es nicht an den Migrant:innen liege, die die Grenze überqueren, sondern an den Schmugglern, die sie anführen oder darüber bringen. Wenn sie vom Militär oder der Polizei gejagt würden, sei es ihnen egal, ob es Leben kostet – sie würden einfach versuchen, zu entkommen: “Sie kümmern sich nicht um Menschen, sie kümmern sich um nichts anderes, als Geld zu verdienen.” Er impliziert, dass in der Vergangenheit Menschen aufgrund solcher Ereignisse gestorben sind.

Misstrauen und Missbrauch von Informationen

Koulkovinis bezeichnet sich selbst als normalen Bürger. Er zeigt die aktuelle Ausgabe der lokalen Tageszeitung und sagt, dass viele Bürger:innen nicht wüssten, wo sie verlässliche Informationen finden könnten. In Deutschland sei er es gewohnt gewesen, eine größere Auswahl an gedruckten Zeitungen zu haben, sagt er. “Hier sind die Menschen auch daran interessiert, verlässliche Nachrichten zu lesen, aber sie wissen nicht, wo sie sie finden können: Sie sind vorsichtig”, sagt er. Auch seiner Meinung nach sollte man in dieser Region vorsichtig sein, wenn man sich aussucht, mit wem man über welches Thema spricht.

Vor allem die muslimische griechische Gemeinschaft werde politisch benutzt, um die historische Feindschaft zwischen der Türkei und Griechenland aufrechtzuerhalten, indem die Türkei – nicht das Volk, sondern die Politiker – falsche Nachrichten über sie verbreitete. Tatsächlich würden sie als griechische Bürger mit einfach einem anderen Glauben im Land leben, es gäbe keine der Probleme. Türkische Politiker:innen und staatliche Medien verbrieteten ständig falsche Informationen über sie.

Der Anteil der Muslime ist in Komotini hoch, ebenso wie das Misstrauen gegenüber (ausländischen) Journalist:innen. Die Leute auf der Straße reden freundlich mit uns, aber wenn sie erfahren, dass wir Journalist:innen sind, haben sie plötzlich etwas Dringendes zu tun, auch wenn es offensichtlich ist, dass sie es überhaupt nicht eilig haben.

Gut zu wissen

Die Griech:innen sind eines von 30 Ländern weltweit, in denen es eine Wahlpflicht gibt. Heutzutage bleibt es ungestraft, wenn man nicht wählt.
Die Wahlbeteiligung bei den nationalen Wahlen ist niedrig: nur 56,6% bei der Wahl 2015 und 59,9% bei der Wahl 2019.
Griechenland ist auch eine Ausnahme, wenn es um das Wahlalter geht. Ab dem 17. Lebensjahr sind Griech:innen wahlberechtigt, auch diejenigen, die im Wahljahr 17 Jahre alt werden.

Ältere Herren sitzen und plaudern an den kleinen Tischen, trinken Kaffee und grüßen die Passanten auf der schmalen Straße. Fragt man nach dem Verhältnis zu den türkischen Nachbar:innen, hört man oft einen Satz: “Wir sind alle gleich. Es gibt keinen Unterschied.” Die Nähe zwischen den Völkern zeigt sich sogar in der Sprache – so verwenden die Griech:innen hier das türkische Wort “bahçe” für “Garten” statt des griechischen Begriffs “κήπος” (kipos), erklärt ein anderer.

Aber schon mit der jetzigen Regierung habe die Türkei die Region beeinflusst, fügt er hinzu, und sein Freund bestätigt: “Sie dringen immer wieder mit Militärflugzeugen in den griechischen Luftraum ein.” Dann weisen beide darauf hin, dass sie nie Probleme mit Türk:innen hatten. “Der ganze Konflikt ist Politik”, sind sich beide einig. Zardidis habe Freunde jenseits der Grenze und gehe dort auch einkaufen, sagt er. Wie er fahren viele Griechen in die Türkei, um einzukaufen und das Auto zu tanken. Auf der anderen Seite begrüßen griechische Restaurants oder die Filiale einer deutschen Supermarktkette türkische Gäste.

Die vielen Probleme Griechenlands

Für die Wahl seien seine großen Themen innenpolitisch gewesen, beschreibt er. Das Eisenbahnsystem – vor allem seit dem tragischen Zugunglück in Tempi einige Monate zuvor –, das Gesundheitssystem und vor allem die finanzielle Situation Griechenlands. “Es betrifft alle: Arbeitgeber, Arbeitnehmer und auch Rentner”, sagt er, der mit 64 Jahren selbst zur letzten Gruppe gehört. Er fügt aber auch hinzu: “Ich denke, dies ist kein spezifisches Problem dieser Region und ich bin sicher, dass die Situation in der Türkei noch schlimmer ist.”

Aufgrund der perspektivlosen Situation verließen junge Menschen das Gebiet: “Nur alte Leute wie wir bleiben.” Er resümiert: “Hier funktioniert nichts gut.” Seine eigene Tochter lebt seit 6 Jahren in Paris, stolz zeigt er das Foto ihrer Visitenkarte und sein eigenes Bild vor dem Eiffelturm. “Damit junge Menschen bleiben können, braucht es Jobs, die Chance, hier ein angenehmes Leben zu führen”, sagt er. Die Regierung sollte sich darauf konzentrieren, aber sie würde sich nicht viel um die abgelegene Gegend fernab der großen Städte kümmern.

Muslimischer, aber griechischer Staatsbürger

In der Region Alexandroupolis, etwa 50 Kilometer westlich von Feres und der Grenze zur Türkiye, sind entlang der Straßen viele Moscheen zu sehen, von denen einige sehr nahe an orthodoxen Kirchen gebaut sind – sie symbolisieren den gemeinsamen Alltag griechischer Bürger:innen mit unterschiedlichen Religionen, wie Koulkovinis beschrieb. Seit der osmanischen Zeit blieb eine türkischsprachige, eine muslimische Gemeinschaft in der Region. Salih Dalli ist einer von ihnen – er lebt im Dorf Aratos, rund 80 Kilometer von der Grenze zur Türkei entfernt. Er verlässt einen kleinen Laden. Seine Hände und Finger sind groß, sie sehen geschwollen aus und sind vom Öl verschmutzt. Ein Beweis für seine harte Arbeit mit Eisen.

Als griechischer Staatsbürger will er sich weder zu den Wahlen noch zur politischen Situation im Nachbarland, aus dem seine Familie stammt, äußern. Es ist jedoch offensichtlich, dass er das System, in dem er lebt, genießt; obwohl es alles andere als perfekt ist. “Wir leben in Freiheit”, sagt er. Mit den griechischsprachigen, orthodoxen Menschen gebe es überhaupt keine Probleme. Probleme wurden vielmehr von Politiker:innen geschaffen, die versuchten, die Gesellschaft zu spalten.

Gut zu wissen

Laut der Volkszählung von 2011 lebten etwa 140.000 Muslime in Westthrakien, der nordöstlichen Region. Damit waren etwa 30% der Bevölkerung dieses Gebiets griechische Muslime, die in der Vergangenheit die Mehrheit dieser Region ausgemacht hatten (die türkische Minderheitenbevölkerung in Westthrakien fiel von 65 Prozent in den 1920er Jahren auf die Hälfte, heißt es in dem Bericht | Daily Sabah). Darüber hinaus lebten 2017 mehr als 500.000 Muslime, hauptsächlich Asylsuchende und Migrant:innenen, in Griechenland. Die Hälfte davon in Athen. 

Dalli glaubt jedoch nicht, dass sich nach den Wahlen an diesem Sonntag etwas für seine Gemeinschaft ändern wird. Er beklagt, dass es keine Lehrer:innen mehr gibt, die den Kindern in den Schulen die türkische Sprache beibringen. In der Vergangenheit habe es die gegeben. “Am Anfang sind solche Dinge in Ordnung. Und nach 20 Jahren ändert sich das”, sagt er und fragt sich, ob Moscheen in einigen Jahren auch ein Thema sein könnten. “Ich glaube nicht, dass sich etwas zum Guten ändern wird”, sagt Dalli frustriert.

Orthodoxe Kirchen und Moscheen stehen in den Dörfern in der griechischen Region Xanthi nah beinander.

Die Diskriminierung von türkischsprachigen Menschen durch Institutionen – nicht per Gesetz, aber immer noch sichtbar – dauere jahrzehntelang an. Er spürte es, nachdem er in der Türkei studiert hatte und Griechenland seinen Abschluss nicht anerkannte. Er zeigt seine Hände: “Ich habe also immer als Mechaniker gearbeitet.” Aber selbst wenn er glaubt, dass sich diese Politik nicht ändern wird, wird er wählen gehen. “Natürlich, ich bin griechischer Staatsbürger”, sagt er. Er hofft, dass die gesamte Gesellschaft von einer besseren Zukunft profitieren wird. Angesichts der Tatsache, dass Millionen von Griech:innen im Ausland leben und arbeiten, sollte eine neue Regierung mehr Anstrengungen unternehmen, um Arbeitsplätze und Chancen im Land zu schaffen, betont er.

Das Problem der Migration

Die Stadt Alexandroupoli (türkisch: Dedeağaç) selbst liegt etwa 30 Kilometer südwestlich der Grenze. Hrisanthi Apozidou sitzt mit einer Freundin auf einer Bank, isst Kuchen und genießt den Blick auf das Thrakische Meer (Trakya Denizi), obwohl der Himmel bewölkt und der Wind kalt ist. Sie habe keine Probleme mit den Türk:innen, sondern mit der Regierung, die sie regiert, sagt sie. “Das bringt uns Feindseligkeiten”, kritisiert sie. Das erzeuge Hass auf beiden Seiten – auf politischer Ebene. In der Ägäis führte es dazu, dass die griechische Regierung ihre natürlichen Ressourcen ausbeutet und dort mit der Ölförderung beginnt. “Das ist der Grund, warum Kriege geführt werden”, spricht sie ihre Befürchtungen vor einer Eskalation der Auseinandersetzungen an.

Ein weiteres Thema, das vielen Griech:innen in den Beziehungen zur Türkei am Herzen liegt, sind die Menschen auf der Flucht, die ins Land kommen. “Sie schicken zu viele Leute hierher, sie handeln mit Menschenseelen”, sagt Apozidou. Die Mauer trage zwar dazu bei, die Anzahl der Grenzübertritte in diesen Gebieten zu senken, führe aber zu neuen Routen. “Sie finden immer einen neuen Weg – über das Meer oder über Bulgarien”, erklärt sie und fordert eine europäische Lösung und konsequente Abschiebungen derjenigen, die keinen legalen Grund zum Bleiben haben.

Ein besseres Leben für alle

Für die Wahlen in Griechenland hat sie klare Erwartungen. “Bessere Dienstleistungen für die Menschen, Gleichheit, bessere Bildung und mehr Demokratie”, fordert Apozidou. Vor allem während der Corona-Pandemie hätten viele unter den harten Einschränkungen gelitten: Ältere Menschen mussten Bußgelder von bis zu 100 Euro im Monat zahlen, wenn sie nicht geimpft waren. Dann, im vergangenen Winter, hätten viele Menschen aufgrund steigender Preise nicht genug Geld gehabt, um ihre Wohnungen zu heizen. “Das war keine Demokratie”, sagt sie und räumt ein, dass die Situation heute viel besser geworden ist. Menschen wieder lächeln zu sehen, bereitet ihr viel Freude, zu lange hatte sie das nicht gesehen.

Apozidou sagt, sie sei optimistisch, dass es weitere Verbesserungen in ihrem Land geben werde und habe ihr Vertrauen in die Demokratie nicht verloren. “Wir sind die Gründer der Demokratie. Die ganze Welt hat das Gemeinwesen unserer Republik kennengelernt und das ist großartig”, sagt sie. Alle Griechen und alle Menschen auf der Welt verdienen etwas Besseres, sagt sie, und das ist es, was sie sich für die Zukunft aller wünscht.

Weiter in Richtung Thessaloniki in Kavala, einer sehenswerten Stadt für Tourist:innen zwischen Bergen und Meer, betreibt Hektor1Wir haben den Namen geändert, da unser Interviewpartner anonym bleiben wollte ein kleines Café. Er freut sich darüber, dass es in der Stadt und der Region nicht viele Plakate und Werbung für die anstehenden Wahlen gibt. “Im Laufe der Jahre wurde es immer weniger; ich denke, das ist eine gute Entwicklung”, sagt er. Die Aussagen, die auf solche Plakate geschrieben wurden, seien sowieso allesamt Lügen: “Was soll das?”

Er ist überzeugt, dass die meisten Parteien nur Geschichten erzählten, um zu gewinnen und dann ihre Versprechen nicht zu halten: “Sie lügen alle.” Hektor beschreibt die Parteien Griechenlands von liberal und kapitalistisch bis hin zu der Behauptung, sozialistisch zu sein, aber nicht wirklich sozialistisch zu handeln. Trotzdem wird er zur Wahl gehen, um für eine Partei zu stimmen. “Ich werde meine Stimme der Kommunistischen Partei geben”, sagt er. Seines Wissens nach sei die KKE die einzige wirklich kommunistische Partei, die derzeit gewählt werden könne. Außerdem sei sie die einzige Partei in Griechenland, die tatsächlich handele, anstatt zu reden. “Sie unterstützen die Arbeiterklasse, sie sind mit ihr auf der Straße.” Er hofft also, dass sie mehr Einfluss gewinnen. “Aber ich möchte nicht, dass sie das Land tatsächlich regieren”, fügt er hinzu.

Gut zu wissen

Bei den Wahlen 2019 erhielt KKE 5,3% der Stimmen. Damit erhielten sie 15 Sitze im Parlament mit 300 Abgeordneten. 

Eine starke kommunistische Partei in der Opposition könnte sich positiv auf die Arbeiterklasse auswirken und Druck auf die Regierung ausüben, vermutet Hektor. Mehr aber auch nicht. Er hofft, dass sie stark genug werden, um die Politik des Landes zu beeinflussen, aber er möchte sie nicht in der Regierungsposition haben. “Es ist nicht gut, ein einziges kommunistisches Land zu sein, wir würden zermalmt werden”, sagt er, umgeben von kapitalistischen Ländern. Die Türkei, sagt er, habe sogar eine schlechtere Version davon als Griechenland, aber die allgemeinen Probleme seien in beiden Ländern die gleichen. Und überhaupt, eine KKE, die so viele Wähler gewinnt, wäre “ziemlich Science-Fiction”. Was beide Länder auch gemeinsam haben, ist die Herausforderung um die Bewältigung der großen Zahl von Menschen, die um Schutz bitten und ein besseres Leben fordern – und ein Mangel an internationaler Unterstützung und Kooperation. Der Cafébesitzer sagt, dass die KKE die einzige Partei gewesen sei, die mit Pushbacks und dergleichen nicht einverstanden war, so dass auch die Flüchtlingsthematik anders gelöst würde, wenn sie ein Mitspracherecht hätte.

Dialog für den Frieden

Auch in Feres gibt es Hoffnungen auf andere Lösungen. “Wir wünschen uns Frieden und dass Probleme mit Dialog und nicht mit Drohungen gelöst werden”, sagt Iannis Koulkovinis mit Blick auf die Wahlen in der Türkei und die Feindseligkeiten der letzten Jahre. Generell ist er der Meinung, dass Dialog effektiver ist als Proteste. “Normale Menschen auf beiden Seiten der Grenze reden miteinander, Politiker:innen folgen ihrem Beispiel”, sagt er. Dies könnte ein friedliches Miteinander für die Zukunft fördern. Die Geschichte des Grenzgebiets sei schwierig genug gewesen, fügt er hinzu und will nicht weiter ins Detail gehen.

Footnotes

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