Der Bayreuther Lokalpolitiker Halil Taşdelen ist Anfang Juli von einem Rassisten angegriffen worden. Hier spricht er über seine Erfahrungen und wofür er steht.
Leben, Liebe, Mittelpunkt, Zentrum, Gedanken, Visionen: Halil Taşdelen braucht für die Frage, was er mit Bayreuth verbindet, keine Bedenkzeit. „Ich verbinde alles mit Bayreuth: Erfolg, Ankommen, Integration, Arbeiten. Eigentliche alle positiven Eigenschaften verbinde ich mit meiner Stadt“, schiebt der SPD-Stadtrat direkt hinterher. Der „Rote Halil“, sagt er mit Blick auf die sonst übliche Auswahl seiner Kleidungsfarbe, sei aus Bayreuth nicht wegzudenken und ein Unikat der Stadt.
In dieser Heimat ist Taşdelen nun Opfer eines rassistischen Angriffs geworden – an seinem 49. Geburtstag, dem 8. Juli 2022. Er sei gerade mit einem Kollegen am Straßenrand gestanden, als ein Mann in Begleitung einer Frau eine Frau auf der gegenüberliegenden Straßenseite begrüßten, die ihn bereits mehrfach rassistisch beleidigt habe; Taşdelen nennt sie rechtsextrem „Dann schaut er rüber und sagt: ‚Was schaust du?!‘“, beschreibt Taşdelen die Situation. Es seien abermals rassistische Beleidigungen gefolgt und dann sei der Mann unvermittelt auf ihn zugegangen, habe ihm einen Kopfstoß verpasst. Taşdelen erlitt einen doppelten Nasenbeinbruch. Der Täter sei dann abgehauen. „Sowas kenne ich nur aus den Filmen und aus der Zeitung“, merkt er an.
Als er am Montag über den Vorfall spricht, wirkt Taşdelen trotz seiner immer noch geschwollenen Nase schon wieder gefasst. Welche Konsequenzen er daraus zieht? „Ich will mich noch mehr um die Leute kümmern“, sagt der 49-Jährige, der sich bereits in diversen Organisationen und Vereinen als Funktionär engagiert.
Einen Meilenstein hat Taşdelen bereits erreicht. „Mein Ziel war, Geschichte zu schreiben in der Stadt, in die mein Vater als einfacher Arbeiter gekommen ist, der beim Ausländeramt, beim Einwohnermeldeamt, beim Arbeitsamt immer getriezt worden ist“, führt er aus. Als erster Migrant ist er 2008 in den Bayreuther Stadtrat eingezogen. Nach politischen Anfängen in der CSU habe er sich wegen rassistischer Strukturen für die SPD entschieden. Doch auch die Sozialdemokraten hätten es ihm nicht einfach gemacht und ihn wiederholt „verarscht“, sagt er und nennt mehrere Wahlen, bei denen er um bessere Listenplätze gebracht worden sei. „Der Türke schaffts nie“, sei ihm immer wieder nachgesagt worden. Auch von der Abwahl als Vorsitzender des SPD-Stadtverbands zeigt er sich frustriert.
Doch gegen alle Widerstände habe er sich durchgesetzt und von Wahl zu Wahl seine Ergebnisse verbessert. In einem Innenstadt-Café wird das Gespräch immer wieder unterbrochen, weil Passant:innen ihm ihr Beileid aussprechen und die Tat verurteilen. Taşdelen kennt sie alle beim Namen und duzt sie. An anderer Stelle schwärmt der gelernte Gleisbauer, der über den zweiten Bildungsweg sein Fachabitur nachholte und die Qualifikation als staatlich geprüfter Bautechniker erwarb, von seinem Arbeitgeber als eine der „geilsten Baufirmen Deutschlands“. Gleichwohl habe er in seiner Heimatstadt immer wieder Diskriminierung erfahren. „Für die Herkunft muss ich mich immer wieder rechtfertigen“, merkt er an.
Verwundert reagiert Taşdelen dann auch auf die Berichterstattung, die erst begann, als sein Bruder Arif Taşdelen (stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Generalsekretär der Bayern-SPD) den Angriff auf Twitter veröffentlichte. Immer wieder schreiben Medien und Polizei von einer „ausländerfeindlichen“ Attacke oder „fremdenfeindlichen“ Beleidigungen gegen ihn. „Ein rassistischer Angriff war es, aber nicht eine ausländerfeindliche Attacke“, kommentiert er. Schließlich ist er kein Ausländer:
„Ich bin Inländer“, sagt er und klopft dreimal mit der Hand auf den Tisch: „Ich bin Bayreuther und das seit 39 Jahren.“
Genau hier werde dann der Fehler gemacht, dass Menschen wie er wegen ihrer Migrationserfahrung als Ausländer:in abgestempelt würden. „Ich schau halt nunmal anders aus“, seufzt er – und seine „Hakennase“ wolle er auch nicht missen. Ebenso die Lobeshymnen auf ihn als gelungenes Beispiel für Integration kann er in diesem Zuge nur wenig nachvollziehen. Die sei doch schon lange „vollzogen und vollkommen“. Aufgenommen werde man eben erst, wenn man sich bewiesen habe und für die gleiche Akzeptanz müssten Menschen mit Migrationserfahrung 20 bis 60 Prozent mehr Leistung bringen. „Das Separieren mag ich nicht“, sagt Taşdelen und verweist auch auf eine verfehlte Integrationspolitik seiner Heimatstadt, die zu einer Ghettoisierung geführt habe. „Man hat Arbeitskräfte gerufen, aber wir sind als Menschen gekommen und wir sind auch geblieben“, merkt er an. Für ihn gebe es auch keine Ausländer:innen, die Grenzen in den Köpfen der Menschen müssten endlich verschwinden.
Kritik übt Taşdelen auch an der Polizei Bayreuth, obgleich er sich für die Hilfe bedankt. Denn auf dem Weg vom Krankenhaus zur Vernehmung bei der Polizei habe er zufällig den Täter in der Stadt gesehen und sofort telefonisch einen Beamten informiert. „Da kann ich ihnen nicht helfen“, zitiert er die Antwort am Telefon. Alle Streifen seien bereits draußen gewesen und der Gesprächspartner habe die Wache nicht verlassen können, da sie sonst unbesetzt gewesen wäre. Er solle ein Foto des Täters machen. „Im 21. Jahrhundert! Meine Heimat, meine Beschützer, die von meinen Steuergeldern leben?!“, stutzt Taşdelen noch immer. Auch, dass der später verhaftete, mutmaßliche Täter bereits am Sonntag wieder auf freien Fuß kam, könne er nur schwer nachvollziehen. Auch der Staatsschutz habe sich erst nach dem Tweet seines Bruders in den Fall eingeschaltet.
Die Polizei bestätigt Taşdelens Schilderungen auf Nachfrage. Alle Streifenbesatzungen seien bei einem Einsatz gebunden gewesen und hätten womöglich nicht rechtzeitig den Ort erreicht. Ob das häufiger vorkommt, ließ ein Sprecher offen. Taşdelens Fotos hätten jedoch geholfen, den späteren Tatverdächtigen zu identifizieren. Die von ihm kritisierte zunächst träge Ermittlung begründet die Polizei mit dem Ablauf: Die Tatbestandsaufnahme durch eine Strafe habe „unmittelbar nach dem Angriff abgebrochen werden“ müssen, da der Angegriffene wegen seiner Nasenverletzung im Krankenhaus behandelt werden musste. Dadurch hätten die Beamten das Delikt noch nicht umfassend eingruppieren können. Erst die bei den weiteren Ermittlungen gewonnen Erkenntnisse, unter anderem durch den Termin am Nachmittag, hätten „weitreichende Hinweise auf den ausländerfeindlichen und staatsschutzrelevanten Hintergrund“, wodurch dann das Staatsschutzkommissariat worden sei.
In der Politik und für Bayreuth möchte sich Taşdelen indes weiter engagieren. „Nachhaltigkeit muss in allen Belangen da sein“, so sein Credo. Im Bauausschuss setze er sich etwa dafür ein, dass in Neubauten mit Zisternen oder Alternativen versehen sein sollten, um kein sauberes Trinkwasser für die Klospülung zu nutzen. Die deutsche Müllentsorgung im Ausland, oft verbunden mit Umweltverschmutzung, regt ihn ebenso auf. „Du musst den Dreck auch in deinem Land entsorgen“, fordert er.
Einem Fraktionszwang werde er sich auch künftig nicht beugen und seinem Gewissen folgen. Seine Vision sei, die Stadt weiterzuentwickeln: Ausreichend Kindertagesstätten, Arbeitsplätze, Kulturzentren, „dass wir die über 40 Nationen, die in Bayreuth leben, jedes Jahr feiern können – miteinander und füreinander“. Zudem spricht er sich für eine Reform der Kommunenfinanzierung aus, die nicht mehr allein von der Gewerbesteuer abhängen solle. Auch das Beamtentum würde er am liebsten in einer Reform abschaffen. „Jeder denkt in erster Linie nur an sich und das darf nicht sein“, kritisiert Taşdelen. Allgemeinwohl müsse stets vor dem Alleinwohl stehen.
Für ihn bedeutet dieser Leitsatz auch, bei Konflikten einzuschreiten. Erst am Samstag habe er bei einer Auseinandersetzung einer Gruppe junger Menschen mit einem Mann dank seiner Arabischkenntnisse für Deeskalation sorgen können. „Jeder kann aus sich immer mehr rausholen. Denn der Mensch ist ein Meisterwerk Gottes und jeder auf seine Art und Weise einmalig und prächtig“, betont Taşdelen.
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