Ukrainische Medien: Im Fokus der Welt, aber wirtschaftlich am Abgrund

Ukrainische Medien: Im Fokus der Welt, aber wirtschaftlich am Abgrund

Im ukrainischen Bachmut ist eine Wochenzeitung für die Bewohner:innen der umkämpften Stadt die einzige Informationsquelle. Trotz ihrer großen Bedeutung leidet die Medienbranche unter den Folgen des russischen Angriffskrieges.

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Zwischen Straßenkämpfen und Artilleriefeuer bahnen sich noch immer unabhängige Informationen ihren Weg nach Bachmut. Wo auf Internet, Mobilfunk, Fernsehen und Radio nicht mehr zugegriffen werden kann, vertrauen die verbliebenen rund 4000 Bewohner:innen der Frontstadt auf die Wochenzeitung „Vpered“ (Vorwärts). Für sie ist das gedruckte Wort die einzige Verbindung zur Realität abseits des Kriegshorrors, dem sie tagtäglich ausgesetzt sind.

Produktion aus der Ferne

Svitlana Ovcharenko arbeitet seit mehr als 30 Jahren bei Vpered, inzwischen als Chefredakteurin. Schweren Herzens verließ sie ihre Heimatstadt im März vergangenen Jahres und zog in die südukrainische Hafenstadt Odesa. „Ich habe online auf Video gesehen, wie mein Haus bis auf die Grundmauern abgebrannt ist“, sagt sie.

Während ein Bruchteil der einst 70.000 Einwohner:innen in Bachmut zurückblieb, seien diese acht Monate komplett vom Informationsfluss abgeschnitten gewesen – nach dem Großangriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 wurde die Wochenzeitung zunächst eingestellt. „Sie versteckten sich verängstigt in Kellern, hatten weder Internet noch irgendeine andere Verbindung zur Außenwelt, hielten sich für nutzlos, verlassen und weigerten sich, evakuiert zu werden“, erzählt Ovcharenko.

Deshalb habe Bachmut ein gedrucktes Medium gebraucht, dem die Menschen vertrauten; keine Überzeugungsarbeit durch Freiwillige, Offizielle oder Militärs habe gefruchtet:

„Es war notwendig, ihnen zu sagen, dass sie nicht dem Schicksal überlassen wurden; dass die ganze Welt über sie Bescheid weiß, sich um sie sorgt und Hilfe leistet.“

Svitlana Ovcharenko

Chefredakteurin der ukrainischen Wochenzeitung “Vpered”

Mit Hilfe der Nationalen Journalistenunion der Ukraine legte Ovcharenko Vpered neu auf, die erste Ausgabe erschien 4. November November 2022 und erreichte die Menschen in den Kellern von Bachmut vier Tage später. „Freiwillige sagten, dass die Leute geweint haben, als sie eine Zeitung in die Hand nahmen. Und eine Frau sagte: ‚Es riecht wie zu Hause.‘“, erzählt Svitlana. Die Zeitung habe sie an friedlichere Zeiten erinnert, als der Postbote jede Woche eine neue Ausgabe brachte.

Bewohner:innen in Bachmut lesen eine Ausgabe der Wochenzeitung
Bewohner:innen in Bachmut lesen eine Ausgabe der Wochenzeitung “Vpered”. (Foto: Vpered)

Lokalzeitungen als einzige Informationsqulle in der Ukraine

Auch der Journalist:innenverband wertet das Projekt als großen Erfolg. In zahlreichen besetzten und befreiten Gebieten sei die gedruckte Lokalzeitung die einzige Informationsquelle für die Menschen. In Cherson habe die Redaktion der „Novy Den“ (Neuer Tag) nur sieben Tage nach der Befreiung die nächste Ausgabe produziert, in Isjum habe es sogar nur drei Tage gedauert. „Sie haben sie aus der Ferne vorbereitet und verteilen sie auch jetzt in der Region“, sagt Lina Kushch, Erste Sekretärin der ukrainischen Journalist:innenunion: „Für die Menschen ist es wichtig, Medien zu nutzen, denen sie vertrauen.“ Mehr als 20 Lokalmedien habe der Verband so unterstützt.

Bewohner:innen in Bachmut lesen eine Ausgabe der Wochenzeitung
Lina Kushch, ehemalige Korrespentin in Donezk und Erste Sekretärin des Nationalen Journalistenverbands der Ukraine (NUJU). Foto Niklas Golitschek

In Bachmut hätten einige Leser:innen von Vpered der Evakuierung zugestimmt, nachdem sie aus Beiträgen erfahren hätten, wie sich um Binnenvertriebene gekümmert werde. „Russland hat Fakenews verbreitet, dass sie woanders nicht willkommen seien“, sagt Kushch: „So konnten sie echte Geschichten von ihren Nachbar:innen, Freund:innen und Kolleg:innen lesen. Das hat viel gebracht.“

Ukrainische Medienbranche mit großen Schwierigkeiten

Während sich die internationale Presse jüngst vor allem mit den Zugangsbeschränkungen für Journalist:innen in den Frontgebieten befasst hat, sehen sich vor allem Lokalmedien in der Ukraine mit grundlegeren Herausforderungen konfrontiert. In vier Phasen hat der Verband dafür mehr als 400 Medienschaffende befragt und ein düsteres Bild erhalten:

  • 90 Prozent der Redaktionen verloren Anzeigenkund:innen und Arbeitsmöglichkeiten
  • 30 Prozent unterbrachen ihre Arbeit für bis zu drei Monate
  • 50 Prozent kürzten die Gehälter, während die Arbeitslast stieg
  • 25 Prozent verloren ihren Job oder mussten ohne Gehalt weiterarbeiten

Einkünfte von Medienschaffenden brechen weg

Allein durch den Rückzug der Media Group Ukraine (MGU) um den Oligarchen Rinat Akhmetov, dessen wirtschaftliche Aktivitäten von neuen Gesetzen eingeschränkt wurden, seien vergangenen Juli 4000 Menschen gefeuert worden. Dabei hätten die Plattformen mit Beginn des Großangriffs einen sprunghaften Anstieg bei den Zugriffszahlen und Einschaltquoten verzeichnet. „Manche hatten 100 Mal mehr Zugriffe. Die Menschen waren verängstigt und wollten überprüfte Informationen“, sagt Kushch. Deshalb sei es so wichtig gewesen, die Arbeit fortzusetzen. Manche Journalist:innen könnten die Gehaltseinbußen durch internationale Partnerschaften kompensieren. Doch viele suchten nun nach alternativen Einnahmequellen.

Vor großen Herausforderungen sähen sich auch diejenigen, deren Schwerpunkt nicht der Krieg sei. „Bereiche wie Wirtschaft und Sport wurden eingestellt und viele Journalist:innen gefeuert“, kritisiert Kushch. Zu einer weiteren Konzentration habe das Bündnis mehrerer Fernsehsender geführt, in der jeder Sender Programm für eine bestimmte Tageszeit vorbereitet. Ausgestrahlt wird dieser „Informations-Marathon“ dann auf allen beteiligten Kanälen. Wegen der großen Reichweite und der Verbreitung der Regierungsperspektive stelle selbige dafür auch großzügig Mittel bereit. „Das ist aber nicht gut für unabhängigen Journalismus“, kritisiert die Erste Sekretärin.

Steigende Papierpreise und Stromausfälle

Zeitungen kämpften dagegen mit verdreifachten Papierpreisen – 90 Prozent des Papiers seien zuvor aus Russland gekommen; die Medienhäuser seien auch von den andauernden Stromausfällen der vergangenen Monate besonders betroffen gewesen. Es brauche ein Komitee, das ohne Staatseinfluss Förderungen an alle Medientypen ausschütten könne. Damit sei der Verband im politischen Kyjiw jedoch bislang nicht durchgedrungen.

Photos: Vpered

Während von der Front überwiegend Männer berichteten, setzt sich die ukrainische Medienbranche insgesamt anders zusammen. Vor dem Krieg waren rund 60 Prozent der Medienschaffenden weiblich. Unter den Bewerber:innen der Solidaritäts-Zentren sogar 70 Prozent. „Wir haben mehr als 2000 Journalist:innen geholfen, umzuziehen, Trainings und Schutzausrüstung zu erhalten und Ausrüstung wie Telefone und Laptops bereitgestellt“, sagt Kushch stolz. Bei Frauen hätten besonders Überlebenstrainings bei Entführungen und Präventionskurse gegen sexuelle Gewalt große Resonanz erzeugt.

Kriegstraumata sind weitere Herausforderung

Für Journalist:innen ist durch die unmittelbare Betroffenheit vom Krieg auch die emotionale Belastung besonders groß. „Vor dem Krieg habe ich nicht viel geweint“, sagt die Vpered-Chefredakteurin, Svitlana Ovcharenko: „Jetzt schon. Ich weine, wenn ich ein Video aus Bachmut in den sozialen Medien sehe.“ Sie weine um die jungen Männer, die ihre Leben ließen. Das schmerze sie mehr als die zerstörten Häuser.

Doch mit ihrer Arbeit könne sie auch dazu beitragen, Menschen zu retten. „In jeder Ausgabe schreiben wir, in welche Städte Evakuierungen stattfinden“, beschreibt Ovcharenko. Dazu erhielten die Leser:innen Infos zu, Schutzorten, Hilfsangeboten oder Essensausgaben und zum Ablauf der Evakuierung für immobile Menschen – was in einem Kriegsgebiet wichtig ist.

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