Nach der verkündeten Waffenruhe ist der Konflikt im syrischen as-Suweida aus dem Blick geraten. Drus:innen sprechen dagegen von einer Belagerung durch Regierungsmilizen. Besuch bei zwei Familien in Bremen.
Sein Pass hat ihm vermutlich das Leben gerettet. Noch bis Anfang August war Tarek1Um nicht in der Öffentlichkeit als Drus:innen identifizierbar zu sein, möchten alle Gesprächspartner:innen lediglich mit Vornamen genannt werden. in as-Suweida eingesperrt. Belagert von Milizen der syrischen Machthaber, wie er sie nennt; den Status einer Armee will er ihnen nicht zusprechen.
Zurück in Bremen vom eigentlich geplanten Familienbesuch sitzen die Eindrücke der vergangenen Wochen noch tief. „Die Milizen haben mit Panzern und Raketen angegriffen“, sagt er im Gespräch mit Report vor Ort noch sichtlich erschüttert. Nur dank seines Passes habe er die 60 Kilometer bis Damaskus alle Checkpoints passieren und anschließend über Beirut im Libanon die Reise in seine neue Heimat antreten können; seit einigen Jahren besitzt er die deutsche Staatsbürgerschaft.
Bereits seit dem Frühjahr häufen sich die Ausschreitungen, die insbesondere die drusische Minderheit in Syrien betreffen. In as-Suweida lebt ein Großteil von ihnen, so auch Verwandte von Tarek, die er für eine Hochzeit besuchen wollte. Nur wenige Tage nach seiner Ankunft in as-Suweida eskalierte ein Konflikt zwischen drusischen und beduinischen Milizen, wie unter anderem der SPIEGEL nachzeichnete. Frühere Mordfälle sollen sich unter anderem auch auf Deep-Fake-Videos zurückführen lassen, in denen ranghoher Druse scheinbar den Propheten Mohamed diskreditieren.
Doch seitdem das syrische Verteidigungs- und Innenministerium zunächst offiziell für einen Waffenstillstand zwischen Drus:innen und Beduin:innen interveniert hat, riegeln die Regierungstruppen nun selbst die Region ab. Drusen wie Tarek und Organisationen wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) beschuldigen die Milizen des Regimes, weitere Morde und Massaker zu verüben. Mehr als 1000 Drus:innen sollen Berichten zufolge ermordet worden sein. Jüngst entsetzte die drusische Gemeinde, die in Bremen nach Angaben von Zugehörigen 55 Familien zählt, ein Video aus einem Krankenhaus in as-Suweida: Regierungstruppen exekutieren Zivilist:innen regelrecht. Ähnliche Szenen kursieren seit Wochen im Netz, wobei sich nicht jedes Video verifizieren lässt.
Zusammen mit Tarek hat Report vor Ort eine weitere drusische Familie in Bremen getroffen, die ebenfalls Angehörige in as-Suweida hat. Alle möchten nicht mit vollem Namen genannt werden, weil sie Probleme fürchten. „Wir trauen uns nicht mehr, in syrischen Geschäften einzukaufen“, sagt Shada. Zu groß sei die Sorge, von Anhänger:innen des neuen Regimes in Syrien angefeindet zu werden; in arabischen Medien kursierten viele Falschmeldungen über den Konflikt. Bei Demonstrationen in Deutschland sei es bereits zu Übergriffen gegen Drus:innen gekommen. Tochter Rita macht sie nun eine klare Vorgabe: „Sag den Araber:innen nicht deine Religion!“
Im Gespräch fällt es allen schwer, eine Struktur zu finden. „Ich habe viel Stress und Kopfschmerzen“, entschuldigt sich Tarek. Shada pflichtet bei: „Die Wochen sind wirklich nicht einfach für uns. Wir haben Stress und können nicht schlafen.“ Permanent versuche sie, mit ihrer Mutter, mit ihrer Schwester und Freund:innen in Kontakt zu bleiben. Doch schnell wird klar, dass sie die in Deutschland vorherrschende Berichterstattung über einen Konflikt zwischen Drus:innen und Beduin:innen für zu kurz gegriffen halten.
Immer wieder schildert die Gruppe einzelne Mordfälle, vor allem durch die Regierungsmilizen, detailliert, berichtet von Nahrungs-, Wasser- und Medizinmangel sowie fehlendem Strom in ihrer alten Heimat. Von Plünderungen, Entführungen, Exekutionen, Angriffen auf Konvois. „Das war eine Katastrophe für uns“, sagt Tarek über die Zeit, die er in der Region verbracht hat. Familien seien von einem Dorf zum nächsten geflohen, nur mit den Kleidern am Leib; einige schließlich bis in die Gebirge im Osten der Region. „Wir haben Angst um die Stadt und die Zukunft unserer Kinder“, sagt Shadi.
Die katastrophale Lage bestätigt auch Shadis Nichte Farah bei einem kurzen Telefonat, als die Internetverbindung stabil genug ist. „Wir können die Situation hier nicht überleben“, sagt sie angesichts der zusammengebrochenen Infrastruktur und Daseinsvorsorge. Mehr als 32 Dörfer seien niedergebrannt worden, insbesondere an der Provinzgrenze zu Damaskus fänden noch heftige Kämpfe statt; Stand Anfang August. Für die Studentin sei es aktuell unmöglich, die Universität in der Hauptstadt zu besuchen. „Wir leiden unter einer unrechtmäßigen Belagerung. Ich kann nicht einmal meine Familie erreichen“, schickt sie noch als Sprachnachricht.
Bei den Bremer Drus:innen, die das Geschehen weitgehend machtlos aus der Ferne verfolgen, schwingt neben der Verzweiflung das Unverständnis über die Eskalation mit. „Wir haben alle in Frieden zusammengelebt“, umreißt Tarek die 1000-jährige Geschichte der Region. Ob nun Drus:innen, Kurd:innen, Christ:innen, Alewit:innen oder Ismailit:innen als Minderheiten-Glaubensgruppen in as-Suweida: „Wir kannten Spaltung nicht.“ Deshalb hätten sich die Drus:innen auch gegen die Assad-Diktatur aufgelehnt, andere Rebellengruppen unterstützt und humanitäre Hilfe im Land geleistet – die Propaganda werfe der Gemeinschaft nun trotzdem Kollaboration vor.
Die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft nach dem Sturz der Assad-Diktatur sind inzwischen verpufft. Tarek spricht von einem extremistischen Regime unter Ahmed al-Sharaa, den er weiterhin mit seinem früheren Kampfnamen al-Dscholani betitelt. „Er ist wie die Taliban“, so Tareks Einschätzung der syrischen Übergangsregierung. Das neue Regime verfolge eine islamistische Ideologie wie das in Afghanistan. Minderheiten seien nicht erwünscht, Frauen müssten sich bereits unter Hidschabs verstecken. „Wir hatten in Suweida ein säkulares System. Unser Leben war genau wie in Deutschland“, beschreibt Shada ihre alte Heimat. Auch die Frauen hätten weitgehend gleichberechtigt gelebt: „Der Glaube war egal. Wichtig war die Menschlichkeit.“ Genau das sei den neuen Extremisten in Damaskus ein Dorn im Auge. „Erst wurden Alewit:innen angegriffen, dann Christ:innen und Drus:innen. Die Kurd:innen kommen als Nächstes“, übersetzt Rita für die Gruppe.
Israel, dessen Regierung für den aktuellen Angriff auf den Gazastreifen selbst zunehmend unter internationaler Kritik und Strafverfolgung steht, kommt hier eine ambivalente Rolle zu. „Ohne Israel sind die Drus:innen erledigt“, sagt Tarek und verweist auf das militärische Eingreifen. Hier spricht er allerdings nicht für die gesamte Gruppe. Shadi sieht mehr Eigeninteresse als Wohltat: „Sie machen das nicht, weil sie uns beschützen wollen. Sie haben Interessen und wollen ihre Grenze vor Islamisten schützen.“
Deshalb hoffen die Bremer Drus:innen, dass die internationale Gemeinschaft und auch Deutschland den Druck auf das syrische Regime erhöht und die humanitäre Versorgung sicherstellt. „Die deutsche Regierung muss wissen, dass dieser Diktator einer von ISIS ist“, sagt Tarek über al-Sharaa und dessen Ideologie; angelehnt an die extremistische Ideologie der Terrororganisation Islamischer Staat. Er habe das Kostüm gewechselt, aber bleibe ein Krimineller. Syrien sei von einer Diktatur in die nächste geraten, so das verheerende Fazit.
Beitrag veröffentlicht am August 13, 2025
Zuletzt bearbeitet am August 13, 2025
[mc4wp_form id=239488]
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.