Die Talibanregierung Afghanistans, die sich selbst “Islamisches Emirat Afghanistan” nennt, verbietet Frauen fast alles: die meisten Berufe, Studieren, Parkbesuche, den Schulbesuch nach der sechsten Klasse. Zwei Schwestern leisten dagegen auf ihre Art Widerstand.
Das Treffen findet in einem Restaurant im Familienbereich statt. Seitdem die Taliban die Geschlechtertrennung durchsetzen, , dürfen auch in Kabul Frauen nicht mehr einfach so zwischen Männern sitzen.
Frauen und Familien haben ihren eigenen Bereich; in einigen Restaurants müssen sie sich in eine kleine Ecke zwängen. Die Wahl für das Gespräch fällt auf ein Restaurant in Shareh Naw, in dem Frauen und Familien sogar mehr Platz haben als die Männer und obendrein die schöneren Bereiche des Restaurants. Zwischen Pflanzen mit einem angrenzenden Wintergarten wirkt die Atmosphäre hier gemütlich und auch im Winter hell.
Kimia* (Künstlerinnenname) und Lina* (Name geändert) sitzen an einem der Tische. Anders als beim letzten Treffen im Juli 2022 tragen sie keine leuchtenden Farben mehr: Gedeckte, dunkle Töne hüllen sie ein. Die Haare sind zwar nur locker bedeckt, aber auch hier dominieren dunkle Farben. Darauf angesprochen meint Kimia: “Mir fehlen Farben sehr, ich hätte anfangs nicht gedacht, dass das so schlimm ist. Aber es macht richtig traurig, keine Farben mehr zu sehen, also keine leuchtenden fröhlichen Farben.” Auf der Straße sehe sie eigentlich nur dunkle Farben und gerade im tristen Winteri sei es besonders auffällig.
Das Gespräch findet kurz nach dem Valentinstag statt, an dem vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 überall im Kabuler Zentrum Herzen, Blumen, Luftballons und bunte Dekoration das Stadtbild prägten. Die Machthaber verbieten als unislamisch geltende Feste wie den Valentinstag in Afghanistan – auch traditionelle Anlässe aus der Region wie das Neujahrsfest Nowruz Mitte März oder das Wintersonnwendfest Yalda untersagen sie – und die Straßen und Geschäfte dürfen nicht mehr passend dazu geschmückt werden.
“Es macht depressiv, wenn man keine bunten Farben mehr sieht”, sagt Kimia. Sie habe das Gefühl, dass Menschen so gezielt geschwächt würden, im Besonderen Frauen. Sie selbst versuche, ihren Widerstandsgeist aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig suche auch sie inzwischen nach Wegen, ins Ausland zu kommen. „Ich weiß nicht, wie lange ich noch durchhalten kann“, sagt sie. Die 24-Jährige hatte Journalismus studiert und zu Beginn des Talibanregimes auch graduiert. Doch eine berufliche Laufbahn schlug sie nicht ein. “Ich habe gesehen, wie Frauen in Medienberufen von den Taliban eingeschränkt wurden, sie kaum noch frei arbeiten durften”, schildert sie.
Darum habe sie sich nach einem anderen Beruf umgeschaut, in dem sie ihre Gedanken noch zum Ausdruck bringen konnte und die Kunst für sich entdeckt. Dabei ließ Kimia sich auch nicht einschränken, als die Taliban im Frühjahr 2022 verboten, Gesichter und Menschen zu zeichnen. Ihr Hauptmotiv blieben Frauen. Seitdem hat sie die Reichweite ihrer Social-Media-Kanäle – KIMIA (@kimia_arts_) • Instagram-Fotos und -Videos und KIMIA (@Kimiaarts_) / Twitter – ausgebaut, verbreitet dort regelmäßig Werke, die die aktuelle Lage der Frauen in Afghanistan – und manchmal auch Iran – illustrieren und kommentieren. Ihre Motive zeigen Burkas, blutige Herzen, Motive rund um Gefangenschaft und Freiheit; symbolisiert von prächtigen Blüten, flatternden weißen Tauben und Käfige
Dabei wird Kimia in den Bildtexten nie explizit politisch, die Botschaft der Bilder wirkt ohne Worte. Gemeinsam mit ihrer großen Schwester hat sich die 24-Jährige diese Strategie ausgedacht, um einerseits Menschen zu erreichen, andererseits aber den Taliban nicht zu sehr ins Auge zu stechen.
Doch damit nicht genug: Kimia erzählt, dass sie seit ein paar Monaten online Frauen Zeichnen beibringt und außerdem ihre eigene Kunst in den virtuellen Raum geholt hat. Während sie vor einigen Monaten noch ganz traditionell Farbe auf Leinwand brachte, arbeitet sie jetzt mit digitalen Farbtöpfen und Pinseln. “Es war schwer, die Materialien überhaupt zu besorgen”, begründet sie. Leinwände, Farben, Pinsel – all diese Utensilien seien knapp und schwer zu finden gewesen.
Obendrein erleichtere die digitale Form die Veröffentlichung der Werke im Internet. Denn eins ist Kimia wichtig:
Ich möchte weiterhin Menschen erreichen, auf unsere Lage als Frauen hier aufmerksam machen und vielleicht auch den ein oder anderen zum Nachdenken bewegen.
Auch ihre Kleidung – so dunkel gehalten sie ist – betrachtet Kimia als ein kleines Widerstandssymbol. “Ich trage inzwischen kein Schwarz mehr und bedecke mein Gesicht nicht mehr”, sagt sie. Als die Universitäten anfangs unter Talibanherrschaft noch für Frauen geöffnet gewesen waren, hatten dort strikte Verschleierungsregeln gegolten, die jeden Morgen am Eingang kontrolliert worden. So habe sie Schwarz tragen müssen, nur ihre Augen durften freibleiben. Das war der Preis, ihre Bildung fortsetzen zu können.
Inzwischen sind die Universitäten für Frauen komplett geschlossen – auch das neue Hochschuljahr, das im März 2023 begonnen hat, brachte für sie keine Besserung. Ein weiteres Schlüsselerlebnis habe sie dazu gebracht, diese Extremform der Verschleierung komplett abzulehnen. “Ich habe anfangs ja gesagt, ich nehme das in Kauf, wenn ich dann weiter Zugang zur Hochschule habe und mein Leben einigermaßen fortsetzen kann”, erklärt Kimia.
Doch mittlerweile habe sie gelernt, dass das Regime vor allem mit Willkür regiere. “Als ich mein Zeugnis auf dem Bildungsministerium abgeholt habe, habe ich Schwarz getragen, mich komplett wie vorgeschrieben verhüllt”, erinnert sich die 24-Jährige. Dennoch habe die Sicherheitskraft am Eingang gesagt, ihre Kleidung zeige zu viel Gesicht, sei nicht vorschriftsgemäß. “Da habe ich gemerkt, dass die (Taliban) immer etwas finden werden, wofür sie mich angehen oder beleidigen können”, sagt Kimia. Seitdem habe sie sich entschieden, sich nicht mehr an alle Bekleidungsregeln zu halten.
Sie gehe nun wieder so nach draußen, dass sie sich einigermaßen wohlfühle. Natürlich wolle sie nicht zu sehr auffallen – daher halte sie sich an das Verbot leuchtender Farben – aber sie trage eben auch nicht mehr eine so strikte Verschleierung, dass nur ihre Augen zu sehen seien. Kimia argumentiert:
Ich weiß jetzt, dass das alles nicht hilft. Wir verstoßen in ihren Augen immer gegen Regeln, einfach weil wir Frauen sind. Da muss ich mich dann doch nicht selbst einschränken.
Auch ihre drei Jahre ältere Schwester Lina hatte vor den Taliban große Träume. Sie wollte ein eigenes Auto besitzen – “ein kleines würde mir reichen” – und damit unabhängig sein, durchs Land reisen, wann immer sie selbst es gerade wolle. “Ich habe mich schon ein bisschen selbstständig gefühlt”, sagt sie und das, obwohl sie immer wieder mit Reaktionen aus dem Umfeld zu kämpfen hatte. “Mir wurde oft gesagt, eine junge Frau solle nicht allein reisen wollen, warum mir so etwas in den Sinn komme”, schildert die 27-Jährige. Solche Vorbehalte seien seit dem Talibanregime noch verstärkt worden. Die hätten obendrein verboten, dass Frauen allein reisen.
Außerdem sei ihr Berufsziel gewesen, einmal als Dozentin zu arbeiten. Bis zum Hochschulverbot für Frauen hatte Lina als Lehrerin die Laufbahn dafür eingeschlagen und an einer weiterführenden Schule unterrichtet, die jetzt für Mädchen geschlossen ist.
Sie erinnert sich zurück; auch damals schon sei nicht alles einfach gewesen. “Es gab eines Tages die Regel, dass wir alle schwarz tragen sollten: schwarze Kleidung, schwarze Kopftücher”, schildert Lina. Die Idee habe sie damals schon kritisiert; wenigstens bunte Kopftücher habe sie versucht durchzusetzen: „Wir sind ja auch ein Vorbild für unsere Schüler: Was lernen sie denn, wenn sie uns so vor sich sehen?“
Schon damals hätten sich Strömungen bemerkbar gemacht, die den Islam gegen Frauen auslegten und von ihnen Einschränkungen ihrer Freiheiten erwarteten. Doch anders als Heute habe sie diese Bestrebungen noch öffentlich kritisieren können: “Ich konnte etwas dagegen sagen!”
Heute müssten sie alle den Regeln gehorchen, sich fügen, sagt Lina. “Also meistens”, verbessert sie sich dann selbst, schmunzelt und wird dann sofort wieder ernst. „Ich habe schon Angst“, sagt die 27-Jährige: „Denn die Taliban sind gegen die Bildung von Mädchen und Frauen und sie könnten uns beschuldigen, ihre Regeln oder generell islamische Gesetze zu brechen und uns dafür bestrafen.“
Die Schwestern arbeiten nach eigenen Angaben derzeit offiziell für ein Kunstprojekt. Inoffiziell führten sie allerdings Onlineunterricht durch oder nähmen Videos auf, in denen dann nicht nur Zeichnen und Kunst Thema sei, sondern in denen sie etwa auch Englisch unterrichteten. “Das haben sich die Frauen gewünscht”, sagt Linaund so versuchten sie jetzt, den verbotenen Unterricht auf diesem Weg fortzusetzen. So gut es eben geht.
Auch ihre ehemaligen Schülerinnen versorge sie per Telegram mit Lehrvideos, damit diese weiterlernen könnten: „Ich unterrichte meist Englisch, meine Kolleginnen unterrichten andere Fächer, manche davon tatsächlich Kunst und Schmuckherstellung.“ Es sei kein wirklich gutes Gefühl, das sie in der aktuellen Situation habe: „Es ist aber besser, die Mädchen lernen zumindest etwas als gar nichts.“
Manche Schülerinnen hätten Internetprobleme, schlechten Empfang und könnten nicht am Onlineunterricht teilnehmen. Für diese nehme sie in niedriger Auflösung Videos auf und veröffentliche diese auf Telegram. Sie nehme jeweils 15 Minuten auf, stelle diese dann online und erstelle dann das nächste Kurzvideo. Insgesamt füllten sie und ihre Kolleginnen so den Zeitraum von 8 bis 15 Uhr, um einen echten Schultag zu füllen.
Denn das viel kritisierte Verbot für Unterricht für Mädchen nach der sechsten Klasse hat die de facto-Regierung trotz allen Widerstands dagegen bislang aufrechterhalten. “Wir haben auch schon Laptops für Schülerinnen organisiert, die selbst keinen kaufen konnten”, sagt Lina. Auch Internetguthaben stellten sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Verfügung, damit zumindest fehlender Zugang in dieser Hinsicht kein Hindernis sei, um am Unterricht auch teilzunehmen. Es sei jedoch schwierig, Spenden zu sammeln, da sie aufpassen müssten, nicht aufzufallen. Daher reiche das Budget nicht, um alle Mädchen und Frauen auszustatten.
Auch gebe es Mädchen, die gar nicht wüssten, wie sie einen Computer bedienen. Das mache es zusätzlich schwierig. Teilweise schickten sie dann Fotos von ihren handgeschriebenen Notizen. Sie versuche, diesen die Geräte zu erklären, aber auch das sei schwierig unter den aktuellen Umständen.
Sie mache sich derzeit große Sorgen. „Es gibt immer mehr Dorfräte und auch Moscheen, die sagen, dass Mädchen und Frauen das Haus gar nicht mehr verlassen sollten“, sagt sie. Es wirke so, als sollten sie bald komplett vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden. Universitäten, weiterführende Schulen, die meisten Arbeitsplätze, Freizeiteinrichtungen und Parks, Fitnessstudios und öffentliche Bäder, all das sei für Frauen bereits verboten.
Viel fehle nicht mehr, bis die extremistischen Kräfte ihr Ziel erreichen. „Ist es etwa nicht gut für uns, das Haus zu verlassen? Männer können alles tun, was sie wollen“, kritisiert sie. Deshalb sei es wichtig, sichtbar zu bleiben, daran zu erinnern, dass auch Frauen und Mädchen Rechte hätten. Doch auch sie wünsche zumindest ihrer jüngeren Schwester, dass diese einen Weg ins Ausland finde und dort ein freies Leben führen könne.
Freie Fotografin seit 2009, freie Journalistin seit 2011, Mitbegründerin von Witness Europe und Report vor Ort.
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