Kabul, Katar, Ramstein – Trier. Trotz einer Aufnahmezusage aus Berlin steckt aus Afghanistan evakuierte Gruppe in Rheinland-Pfalz fest. Die Behörden scheinen überfordert und planlos.
Dem großen Aufatmen folgte die große Ernüchterung. Elf afghanische Aktive der Afghanistan Youth Empowerment and Peacebuilding Organisation (AYEPO) haben es Ende August auf die Evakuierungsliste aus Kabul geschafft. Durch eine Kooperation mit dem deutschen Verein Frühlingserwachen und ihr Engagement für ein friedliches, freies Afghanistan drohte ihnen unter Taliban-Herrschaft Gefahr. Doch kaum in Deutschland angekommen, stecken sie nun im Chaos der Bürokratie fest. Lena Reiner, Vorstandsmitglied bei Frühlingserwachen und Mitgründerin von Report vor Ort, unterstützt die Gruppe im gesamten Prozess.
In einer Kurzinformation zu Rechtsfragen rund um die US-Militärbasis in Ramstein weisen die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags ausdrücklich darauf hin, dass die Fläche auf deutschem Hoheitsgebiet liegt. Gleichwohl gelten für die Gäste Sonderrechte wie Steuerbefreiungen und Immunitäten. Die Bundesregierung könnte bei Bedarf den Aufenthaltsvertrag einseitig kündigen.
Aktuell halten sich die AYEPO-Mitglieder in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA) im rheinland-pfälzischen Trier auf; in Quarantäne. Die Unterbringung ist ein vorläufiger Zwischenstopp, den die Gruppe eigentlich gar nicht einlegen sollte. „Andere Bekannte von mir sind wie geplant in Frankfurt angekommen“, beschreibt Reiner. Bei der Ankunft haben sie ihr humanitäres Visum erhalten und konnten im Anschluss quasi ihr neues Leben beginnen.
Wieso hat das also nicht bei den AYEPO-Mitgliedern funktioniert? Die Ursache geht wohl auf die Evakuierung selbst zurück. „Nicht die Bundeswehr, sondern die US-Armee hat die Gruppe ausgeflogen“, erklärt Reiner; das sei den chaotischen Umständen am Kabuler Flughafen geschuldet gewesen. Über einen Zwischenstopp in Katar fand sie sich dann statt in Frankfurt auf dem amerikanischen Militärstützpunkt in Ramstein wieder. Die nutzen die USA derzeit als Übergangslösung für die eigenen Evakuierungen.
Vier(?) Tage unter schwierigen Bedingungen und mangelhafter Versorgung verbrachte die Gruppe auf dem Militärflughafen. „Ein Mitglied hat sich erkältet, weil es keine Decken gab“, sagt Reiner über die Situation in Ramstein. Es sei außerdem kaum möglich gewesen, Kontakt zu halten, da die Gruppe keinen Zugang zu WLAN hatte. Dabei hätten die Helfer:innen auf deutscher Seite oft aktuellere Informationen als die Evakuierten selbst gehabt. Nach zwei Tagen im Hangar erhielt die Gruppe dann eine ausgedruckte Zugverbindung und eine “Anlaufbescheinigung” und sollte ohne Ortskenntnisse mit dem Zug nach Trier reisen. Inmitten des Bahnstreiks.
In der Moselstadt organisierte eine Helferin den Transfer vom Bahnhof zur AfA. „Das war der einzige Lichtblick in diesen Tagen“, sagt Reiner über den herzlichen Empfang. Der sei allerdings nur von kurzer Dauer gewesen. Mit in die Unterkunft durfte die Helferin nicht – und vor Ort waren die Mitarbeiter:innen offenbar nicht auf die Ankunft der Evakuierten vorbereitet.
Reiner macht das daran fest, dass für die Gruppe zunächst ein Asylverfahren eingeleitet wurde. Dabei habe keines der Mitglieder einen Antrag gestellt. Hinzu kommt laut Reiner: „Wenn ein Asylantrag gestellt wird, erlischt das humanitäre Visum.“ Dabei sollte genau das für die aus Kabul Evakuierten gelten. Es bedeutet im Vergleich zum langwierigen Asylverfahren unter anderem unmittelbare Sicherheit über den Aufenthaltsstatus.
Inzwischen wurden die Verfahren daher annulliert. Ein humanitäres Visum halten die AYEPO-Mitglieder allerdings noch nicht in den Händen. Damit bewegen sie sich derzeit “rechtlich im Nirgendwo”, sagt Reiner. Dabei warten sogar privat organisierte Unterkünfte auf sie in Frankfurt und Berlin. Nur kann sich die Gruppe derzeit aufgrund der Quarantäne nicht frei bewegen.
Doch damit nicht genug: Ein bei der Ankunft minderjähriges Mitglied der Gruppe wurde bei der Ankunft in Trier vom Jugendamt in Obhut genommen. Das brachte das Mädchen in ein Kinder- und Jugendheim nahe Idar-Oberstein; rund eine Autostunde von Trier entfernt. „Sie war verzweifelt und wollte zurück zur Gruppe“, erzählt Reiner. Ein Klärungsversuch vor Ort blieb ergebnislos. Die Gespräche mit den Verantwortlichen beschreibt sie als unkooperativ, zumal Vor- und Nachname vertauscht waren und dem Mädchen das Alter nicht geglaubt wurde; sie wurde zwei Jahre jünger gemacht.
Wenigstens das zuständige Jugendamt setzte sich für sie ein. Inzwischen volljährig, durfte sie inzwischen wieder zurück zur AYEPO-Gruppe nach Trier. Doch auf Rechtssicherheit in Deutschland wartet die Partnerorganisation von Frühlingserwachen weiterhin.
Beitrag veröffentlicht am September 11, 2021
Zuletzt bearbeitet am September 11, 2021
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