Der Verein Little Home baut kleine Holzhütten als Notunterkünfte für wohnungslose Menschen. Jetzt arbeitet das Team um Sven Lüdecke an einem größeren Modell.
Nach mehr als 170 gebauten Wohnboxen denkt der Verein sein Little Home nun eine Nummer größer. Die Paletten aus Rädern weichen einem zweiachsigen Autoanhänger, aus rund drei Quadratmetern Privatsphäre für die Obdachlosen sollen mehr als sechs werden. „Durch die Größe können wir einen Schlafbereich, ein Badezimmer und eine kleine Küchenzeile mit Stauraum einbauen“, führt Lüdecke aus. Mehr als Bett und Campingtoilette war auf dem bisherigen Raum nicht möglich.
Von einem kleinen Haus ist am Morgen der Bautages noch nichts zu sehen. Nur der blanke Anhänger steht in einer Parklücke, auf einer Freifläche reihen sich Grobspanplatten-Platten (OSB) an Holzpfosten und Styroporplatten. Dazu kommen Leisten für eine Holzfassade, zwei Fenster, eine Eingangstür und Farbe. Also alles, was für ein Little Home so nötig ist. Das dafür notwendige Werkzeug in Form von Sägen, Schleifgeräten, Hämmern, Schraubern und Pinseln stellt der Verein ebenfalls.
Nur: Ob das Vorhaben tatsächlich gelingt, wird sich erst später zeigen. Die Freiwilligen bauen das Little Home in Größe M, wie es später am Eingangsschild steht, als Prototyp. Einen Plan dafür hat Lüdecke vor Augen, jedoch nicht verschriftlich. Hinzu kommt, dass die neue Holzhütte den kritischen Augen des TÜV standhalten muss. Nur dann darf es im Straßenverkehr transportiert werden. Der Vorteil: Der Verein kann es zur Not wie ein Fahrzeug auf öffentlichen Parkplätzen abstellen. Hier war es in der Vergangenheit zu Problemen mit der Stadt Hannover gekommen, als sich eine Bewohnerin weigerte, ihren Platz zu räumen. „Drei Little Homes wurden danach beschlagnahmt“, ärgert sich Lüdecke noch immer über den Vorfall, ohne der Stadt einen Vorwurf zu machen. Er betont: „Die Zusammenarbeit mit dem Tiefbauamt war wirklich gut.“
Bislang stellten zumeist Projektpartner ihre Privatgrundstücke für einige Zeit zur Verfügung. Das solle auch so bleiben, sagt Lüdecke. Die kleinere, kostengünstigere Variante werde der Verein auch weiterhin bauen. Nur, falls ein Little Home wieder unverhofft im Straßenraum stehen sollte, will der Verein für den Notfall künftig besser gerüstet sein. Zumal ein Projektpartner Verein mit dem TÜV 300 Stellplätze in Aussicht gestellt habe. In diesem Zuge wertet der Verein sein Little Home gleich mit auf. So zumindest der Plan.
Um ihn umzusetzen, finden sich auf dem Supermarkt-Parkplatz erfahrene wie unerfahrene Freiwillige ein.
Da ist zum Beispiel Heinrich aus Wennigsen, der bereits an seinem sechsten Little Home werkelt. „Mein Motto ist, meine zehn Finger zu geben, um jemanden zu helfen“, sagt er über seine Motivation.
Sabina ist extra aus Herford angereist, nachdem sie sich dort in den kalten Wintermonaten für Obdachlose eingesetzt hatte. Dadurch ist sie auf das Little Home aufmerksam geworden. „Obdachlosenunterkünfte sind keine Schutzräume“, hat sie aus Gesprächen mit Betroffenen erfahren. Aus Neugierde sei sie deshalb vorbeigekommen – und um ein bisschen mitzuhelfen.
Interessiert zeigen sich auch immer wieder Passant:innen, die vor und nach ihrem Einkauf an der Baustelle vorbeilaufen und das Geschehen beobachten. Wer Lust hat, kann auch selbst ein paar Minuten Hand anlegen, die OSB-Platten zurechtsägen und mit dem Gerüst verschrauben, die Wände mit Styropor und Rettungsdecken isolieren oder Tür und Fassade streichen. „Es gibt keine Hierarchie, das ist Teamwork“, beobachtet Sabina beeindruckt.
Besonders gefällt ihr, dass auch aktuelle und ehemalige Bewohner:innen eines Little Home mit anpacken. So tauschen die Teilnehmer:innen Erfahrungen im direkten Gespräch aus, auch beim gemeinsamen Mittagessen, das der Supermarkt als Partner der Aktion spendiert. Uwe beispielsweise lebt seit rund drei Monaten in einem Little Home in Berlin. „Ich wurde auf der Straße angesprochen, ob ich daran Interesse habe“, erzählt er. Das Little Home sei deutlich besser als die Straße oder eine Notunterkunft, in der immer wieder geklaut werde. „Ich brauche meine Klamotten nicht mitschleppen“, sieht er einen weiteren großen Vorteil. Angesichts der Hilfe, die er erfahren hat, sei es für ihn selbstverständlich, nun auch mit anzupacken.
Auch Marktleiter Andreas Klautke packt nach Feierabend mit an. „Ich konnte mir im ersten Moment gar nichts darunter vorstellen“, sagt er. Dann habe er sich jedoch erkundigt und den guten Zweck unterstützen wollen. Mit dem Little Home erhielten die Menschen zumindest ein Stück Privatsphäre.
Mit den vielen helfenden Händen nimmt das neue Little Home am Nachmittag schon Gestalt an, als der Boden auf dem Hänger liegt und die Wände darauf verschraubt werden. Ganz reibungslos läuft die Bauaktion nicht. Beim Streichen der Fassaden ärgert sich Uwe über mehrere gesplitterte Leisten. „Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben“, beschwichtigt Lüdecke.
Als die Tür nicht in den Rahmen passt, muss der noch einmal nachgesägt werden. Das verzögert den Zeitplan. Und weil das in die Dachschräge eingebaute Kellerfenster undicht ist, muss im Nachhinein noch ein passendes Dachfenster eingesetzt werden. Und kurz vor Fertigstellung des Rohbaus der Schreck: Die OSB-Platten gehen aus. „Wir haben anderthalb Paletten OSB-Platten geholt, das sollte reichen“, sagt Lüdecke verblüfft. Doch kommt er nicht darum herum, am Ende noch zwei weitere nachzukaufen.
Trotz aller Widrigkeiten steht am Ende des Tages der Rohbau des Prototyps. Zwei Wochen später übernimmt der Verein noch den Innenausbau, stattet das Little Home mit Bett und Küchenzeile aus und zieht die Trennwand für die Dusche. „Um die Wasserversorgung kümmern wir uns noch“, merkt Lüdecke an. Der letzte Feinschliff steht also noch aus – und dann muss der Hänger noch durch den TÜV. Lüdecke zeigt sich mit dem Ergebnis zufrieden. “Alle haben mega mit angepackt. Wir sind viel weiter, als ich erwartet habe”, lobt er bereits zum Ende des Aktionstages.
Schon bald soll der erste wohnungslose Mensch hier vorübergehend einziehen können. Als Wohnraumersatz will Lüdecke das Little Home jedoch nicht verstanden wissen. Deshalb lehne der Verein auch institutionelle Förderung ab und setze auf Spenden; das Little Home solle nicht wie etwa die Tafeln als Alternativangebot bei Armut legitimiert werden.
Wir sind eine Unterstützung, zurück ins Leben zu kommen. Wir sehen uns als emotionales Pflaster, um zu heilen.
Nach eigenen Angaben hat der Verein seit 2017 rund 175 Little Homes gebaut und 124 Menschen damit in der Folge zu einer richtigen Wohnung verholfen. 94 der so untergebrachten Menschen hätten inzwischen sogar wieder Arbeit gefunden.
Wie das gelingen kann, beschreibt André. Er hat sieben Monate in einem Little Home gelebt. „Ich war froh, dass ich ein Dach über dem Kopf hatte“, sagt er. Dort habe er sich neu sortiert und anschließend eine Trägerwohnung vermittelt gekommen. „Das hat viel gemacht“, sagt er rückblickend, vor allem im Kopf. Mit einher seien dann ganz neue Herausforderungen gegangen etwa:
Mit Unterstützung des Trägers und des Vereins meisterte André diese Herausforderungen und erhielt sogar einen Praktikumsplatz in einem Garten- und Landschaftsbau-Betrieb. Wegen dreifachen Bandscheibenvorfalls schaffe er das zwar nicht mehr dauerhaft. Doch heute steht er wieder mitten im Leben und engagiert sich nun ehrenamtlich weiter bei Little Home.
Beitrag veröffentlicht am Juli 24, 2021
Zuletzt bearbeitet am Juli 24, 2021
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