US-Ukrainer an der Front: „Es ist etwas anderes, der Außenseiter zu sein.“

US-Ukrainer an der Front: „Es ist etwas anderes, der Außenseiter zu sein.“

Mit der US Army hat Kosak im Mittleren Osten gekämpft, nun verteidigt er die Ukraine in Bachmut. Hier spricht er über seine Erfahrungen und wie dieser Krieg seinen Blick auf frühere Einsätze verändert.

Wie lässt sich am besten verhindern, dass Kinder zu Waisen werden? Diese Frage stellte sich auch Kosak1Hierbei handelt es sich um einen Spitznamen, seinen echten Namen möchte er nicht nennen. in den ersten Tagen der „Wieder-Invasion“, wie er den Großangriff Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 nennt. Bereits in den ersten Tagen hatte es Bericht über getroffene Waisenhäuser und Kindergärten gegeben. Die Antwort lag für Kosak – Amerikaner mit ukrainischen Wurzeln – schnell auf der Hand:

„Die beste Möglichkeit, Waisen zu schützen, ist, ihre Eltern zu retten.“

Bereits seit Kriegsbeginn im Jahr 2014 engagiert sich Kosak für das Land seiner Vorfahren. Seine Urgroßeltern waren einst unabhängig voneinander in die USA ausgewandert, wo sie sich kenngelernt hatten. So wuchs Kosak Tausende Kilometer entfernt in der ukrainischen Diaspora von South Carolina auf. Doch erst nachdem er 2016 aus der US Army ausgeschieden war, brachte er sich intensiver ein. Allerdings noch überwiegend im humanitären Sektor, um Kinder und arme Menschen zu unterstützen. Auch daher stellte sich Kosak die Frage, wie sich Waisenkinder verhindern ließen.

Mit den US-Streitkräften im Mittleren Osten

Militärische Erfahrung hatte Kosak zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben bereits: Grundausbildung sowie eine Spezialisierung in der Analyse menschlicher Aufklärung und Spionageabwehr. Als Einsatzorte nennt er unter anderem Afghanistan, Irak und Kirgisistan, wo er auch Kampferfahrung gesammelt habe. Seit 2018, nach der Scheidung von seiner damaligen Frau, zunehmend in der Ukraine arbeitend und sesshaft hatte er das Militär eigentlich hinter sich gelassen – bis die Raketen einschlugen. Dann habe er seinen besten Freund,[LR1]  für dessen zwei Kinder er der Patenonkel ist, in den Staaten angerufen und sinngemäß gesagt: „Schick mir meine Stiefel, ich muss zurück an die Arbeit.“

Neue Perspektive auf die US-Einsätze?

Die USA haben in den vergangenen Jahrzehnten eine lange Liste kritikwürdiger Einsätze angehäuft. In einigen Ländern war auch Kosak für die Truppen aktiv, nach eigenen Aussagen teilweise an Kampfhandlungen beteiligt. Hat sich sein Blick auf diese Kriege verändert, seitdem er mit der Ukraine das angegriffene Land unterstützt? „Das ist eine wirklich gute Frage“, sagt er und grübelt einen Moment.

In Afghanistan habe er beispielsweise überwiegend Polizei und Militär ausgebildet, um gegen Unterdrückung zu kämpfen. „Ich habe ihren Geist überwiegend bewundert“, sagt Kosak wertschätzend; auch wenn das Land nun wieder in die Hände der Taliban gefallen ist. Sie hätten versucht, ihre Souveränität gegen Länder wie Pakistan, Iran und China zu behaupten. Nur ein minimaler Anteil seien Terroristen gewesen. Auch im Irak sei sein Einsatzgebiet ein komplett anderes gewesen.

Im Mittleren Osten spricht Kosak von vielen Grauzonen. „Es gab Millionen Fraktionen“, führt er aus, entsprechend groß sei das Interessenspektrum gewesen. Viele hätten dabei ähnliche Ziele gehabt, das Leben der Menschen zu verbessern – nur unterschiedliche Ansichten über den Weg. In der Ukraine sei die Lage deutlich übersichtlicher: „Da ist Gut, da ist Böse – hier die Ukraine, dort Russland, das als Aggressor eindeutig versucht, ein Land zu erobern und zu zerstören und dessen Bevölkerung zu töten.“

Als Freiwilliger schloss er sich zunächst verschiedenen Gruppen an, kümmerte sich überwiegend um logistische Aufgaben, etwa als die ukrainische Armee wieder in Butscha und Irpin vorgerückt war. Nach einer „Visa-Auszeit“, wie er die kurze Abwesenheit im Sommer nennt, sei er pünktlich zur Gegenoffensive um Charkiw wieder zurückgewesen – dann allerdings als Teil der Hauptdirektion für Geheimdienste des Verteidigungsministeriums (GUR) im Bereich Nachrichtendienst, Überwachung, Aufklärung (ISR). „Wir arbeiten eng mit der Artillerie, Spezialeinheiten und ähnlichem zusammen. Im Grunde finden und töten wir den Feind“, beschreibt er die Aufgabe. Aktuell gilt der Fokus dem „verdammten Bachmut“ und seiner Umgebung.

Eine neue Erfahrung

Für einen routinierten US-Soldaten sei das eine ganz neue Erfahrung. „Es ist etwas anderes, der Außenseiter zu sein“, sagt Kosak. Im Mittleren Osten habe er sich stets auf die Feuerüberlegenheit und bei Problemen auf Luftunterstützung verlassen können. „Das haben wir hier nicht“, sagt der Veteran; stattdessen kämpfe er Seite an Seite mit Bauern und Fabrikarbeitern. „Wir kämpfen gegen die zweitmächtigste Militärmacht auf dem Planeten“, untermauert er. Doch das sei die Alternative zum Genozid.

Den Kampf um Bachmut, stellvertretend für den gesamten Krieg, beschreibt Kosak als merkwürdige Mischung aus Erstem und Zweitem Weltkrieg. „Wir haben Schützengräben-Kriegsführung, Russland nutzt Filtrationslager“, nennt er zwei Beispiele. Dieser werde jedoch mit modernster Technologie geführt: „Jetzt haben wir Drohnen und alles.“

Kämpfen oder sterben

Auch wenn er nicht an vorderster Front stehe – und 800 Meter könnten hier trotz der weiterhin gegebenen Scharfschützen-Reichweite einen erheblichen Unterschied machen – seien alle permanent unter Beschuss. Dass ihn das Schicksal der Kamerad:innen, von denen er bereits einige Freund:innen verloren habe, nicht kalt lässt, klingt immer wieder durch. Doch zu den Erfahrungen an der Front bilanziert er nüchtern: „Es ist schwierig, diese Leute zu retten.“ Das seien nunmal die zwei Optionen: Kämpfen oder sterben.

In vielen Fällen trifft beides zu.

Eine schwierige Beziehung

Beim Interview setzt sich auch Kosaks Verlobte, Doktor Mascha – ebenfalls ein Spitzname – hinzu. Es ist einer der wenigen Tage, an dem die beiden sich sehen können. Bald geht Kosak wieder an die Front. Als US-Bürger dürfte er das Land zwar verlassen, könnte sich mit ihr dem Krieg entziehen.  Das sei ihm aber nie in den Sinn gekommen. Die Ukraine müsse verteidigt werden. „Wenn nicht ich, wer dann?“, fragt er.

Kosak, hier mit seiner Verlobten Dr. Masha (beides Spitznamen) ist in den USA aufgewachsen und hat ukrainische Vorfahren. Er kämpft mit der ukrainischen Armee.
Kosak, hier mit seiner Verlobten Dr. Mascha (beides Spitznamen), ist in den USA aufgewachsen und hat ukrainische Vorfahren. Er kämpft mit der ukrainischen Armee.

Für sie ist das keine einfache Situation, gibt Mascha zu. „Alles, was ich für ihn tun kann, ist beten“, sagt sie. Während Kosak an der Front ist, müsse sie ihr Leben ohne ihn leben – mit dem Hintergedanken, dass er vielleicht nicht zurückkehrt. Gleichzeitig gehe der Alltag weiter: Arbeit, Haustiere, Sport, Videogespräche mit Freunden aus der ganzen Welt. „Ich beteilige mich auch an einer psychologischen Unterstützungsgruppe2Ein ausführlicher Beitrag dazu folgt. für Ukrainerinnen, das hilft alles“, sagt sie.

Zunächst hätten sie noch das Glück gehabt, sich in der Regel zumindest einmal im Monat sehen zu können. „Aber jetzt, wo ich im neuen Team bin und wirklich kämpfe, ist es noch seltener“, ergänzt Kosak. Seit dem Wechsel zu GUR sei dieses Treffen erst das zweite.

Auch deshalb konkretisiert Kosak später: „Entweder wir gewinnen oder wir sterben.“ Es gebe nichts dazwischen. Er selbst habe viel in diesem Krieg verloren. Er sei auch bereit, alles zu verlieren; im Kampf Gut gegen Böse. Deshalb fühle er sich verpflichtet, das Land mitzuverteidigen. Als „Expat“ fühle er sich daher trotz seiner Erfahrung mit den Truppen nicht. „Ich bin hier als Ukrainer, weil es das ist, was getan werden muss“, sieht er sich ganz in der Tradition der Kosaken.

Hoffnung auf die Kampfjets

Entscheidend für einen Sieg der Ukrainer über Russland – bedeutet: die feindliche Armee aus dem Land zu verdrängen – sei die Luftüberlegenheit. „Wenn wir die F-16 bekommen oder vielleicht“, beginnt Kosak und unterbricht sich selbst. Er legt den Kopf in den Nacken, blickt zur Decke, bekreuzigt sich und fährt fort: „Wenn wir F-22 bekommen, können wir diesen Krieg schneller gewinnen.“ Insbesondere, wenn die Partnerländer die Bodenteams für die Wartung stellten.

Aktuell wird intensiv über die Lieferung von Kampfflugzeugen debattiert. Jüngst hatten Polen und die Slowakei angekündigt, der Ukraine sowjetische MiG-29 aus den eigenen Beständen zu überlassen. Damit erhöhten sie auch den Druck auf die Partner, modernere Modelle bereitzustellen. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte sich bereits kurz nach dem russischen Großangriff auf die Ukraine mit dem Thema befasst. Er wies daraufhin: „Die unmittelbare Beteiligung an den Konflikthandlungen mit militärischer ‚Man-Power‘, machen einen unterstützenden Staat zweifelsohne zur kriegsführenden Konfliktpartei.“ Damit dürften Bodencrews in der Ukraine ausgeschlossen sein. Bei der Nutzung von Militärstützpunkten außerhalb der Ukraine gebe es „rechtliche Grauzonen“.

Ukrainische Gegenoffensive erwartet

Doch auf dem einen oder anderen Weg ist für Kosak klar: „Wir müssen den Himmel schließen. Wir brauchen die Luftüberlegenheit.“ Auch die ukrainische Staatsführung hatte das seit Beginn des Großangriffs immer wieder betont. Unabhängig davon erwartet Kosak außerdem, dass die viel besprochene Gegenoffensive bald bevorsteht.

Footnotes

Vorgeschlagene Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Report vor Ort

Ein Angebot der Witness Europe UG (haftungsbeschränkt)